Hallo Schachfreunde, wir haben vor kurzem mit dpa-Meldungen vom Corusturnier in Holland berichtet - heute gibt es den Nachschlag von einem "Schach-Experten", der auch auf den Eklat (?) um Kasparow eingeht. Dirk Poldauf gehört zur Redaktion der Zeitschrift "SCHACH" und spielt in der deutschen Bundesliga für Neukölln Berlin. Beim anschließenden Text handelt es sich um die komplette Schachecke der Zeitung DIE WELT. Eine Partie mit Anmerkungen soll zwar in unserer Info-Mail die Ausnahme sein; dennoch würde uns interessieren, wie übersichtlich die Darstellung ist. Vielleicht meldet sich jemand aus dem Leserkreis bei Toni oder mir. In der nächsten Woche gibt es wahrscheinlich Bundesligapost aus Augsburg - für heute verabschiedet sich aus Leimen Herbert Lang WELT-Schachkolumne vom 02.02.2000 Eklat um Kasparow Von Dirk Poldauf (Berlin) Garri Kasparow hatte am Sonntagabend das Turnier soeben glanzvoll gewonnen, da musste er mitsamt dem Journalistentross zehn Minuten würdelos vor der verschlossenen Tür einer Umkleidekabine des Sportkomplexes De Moriaan warten. Dort gedachte er, in momentaner Ermangelung anderer Räumlichkeiten, die letzte Partie gemeinsam mit seiner Gegnerin Judit Polgar zu analysieren. Das zu diesem Zweck vorgesehene Pressezentrum wollte er auf keinen Fall betreten. Nach der Partieauswertung, als er sich halbwegs beruhigt hatte, kam es zum eigentlichen Eklat. Auf seine Frage, wer den Preis für die schönste Partie des Tages bekomme, erhielt er nicht die erwartete Antwort: Das Publikum hatte sich, "fehlgeleitet" von den Kommentatoren, für die "primitive" (Kasparow), aber effektvolle Kombination von Alexander Morosewitsch gegen Predrag Nikolic entschieden. Eindeutig eine Verschwörung gegen ihn, den Weltmeister. Schimpfend und gestikulierend stürmte Kasparow davon und ließ sich auch nicht von Turnierdirektor Jeroen van den Berg aufhalten. Die fest vereinbarte Pressekonferenz fand nicht statt; der Sieger hatte sich in seinem Hotelzimmer verschanzt. Immerhin erschien er zwei Stunden später zur Abschlusszeremonie, doch beim anschließenden Bankett mit Spielern und Sponsoren ließ er sich nicht blicken, sondern speiste auswärts in Beverwijk mit Manager Owen Williams und Sekundant Juri Dochojan. Bereits im vergangenen Jahr hatte Garri mehrfach verstimmt reagiert, als ihm der von den Zuschauern per Handzeichen vergebene symbolische und mit 500,- Gulden dotierte Tagespreis seiner Meinung nach zu selten verliehen worden war. Das dürfte einer der Gründe gewesen sein, warum Kasparow diesmal die Presse mied. Gut vorstellbar, dass er nie wieder nach Wijk aan Zee kommen wird. Die Spielbedingungen in der großen Halle mit vielen anderen gleichzeitig laufenden Amateurturnieren, das vergleichsweise schlichte Hotel und das im Winter trostlose Ambiente des sturmumtosten Ferienortes an der niederländischen Nordseeküste sind nicht auf einen Star wie Garri Kasparow zugeschnitten. Das Schachgenie war diesmal nicht in der überragenden Form des Vorjahres, aber seine Klasse reichte allemal, um die den zweiten Platz teilenden Wladimir Kramnik, Peter Leko und Viswanathan Anand um anderthalb Zähler zu distanzieren. Kasparow hätte in der letzten Partie bereits ein Remis für den alleinigen Turniersieg gereicht, doch daran verschwendete der Maximalist aus Moskau keinen Gedanken. Er wollte dem Publikum eine Show bieten und ging mit einem umstrittenen Bauernopfer in der Eröffnung hohe Risiken ein. Kasparow-Polgar Wijk aan Zee 2000 (13), Sizilianisch 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Le3 Sg4 7.Lg5 h6 8.Lh4 g5 9.Lg3 Lg7 10.h3 Sf6 11.Lc4 Db6 12.0-0 0-0 13.Sde2!? Mit 13.Sb3 hätte Weiß den Bauern b2 bei guter Stellung behaupten können, aber Kasparow wollte die Glanzpartie erzwingen. Es ist sehr fraglich, ob Weiß genügend Kompensation für den Bauern hat. 13...Dxb2 14.Lb3 Da3 15.f4 Sc6 16.Kh1 Le6 17.Dd3 Tac8? 18.fxg5 hxg5 19.Sd5 Tfe8 20.Tad1 Sb4 21.Df3? Kasparow ärgerte sich sofort über diesen Zug, den er fast automatisch ausführte. "Nach 21.De3 hätte die Partie nicht so lange gedauert." 21... Sbxd5 22.exd5 Ld7 23.c3! a5 24.Dd3 a4? Treibt den weißen Läufer in die mit den letzten beiden Zügen vorbereitete Angriffsposition. Richtig war 24...Dc5, wonach Kasparow 25.a4! einschieben und dann seine Läufer auf c2 beziehungsweise über f2 auf d4 platzieren wollte. 25.Lc2 Dc5 26.Txf6!! Die Experten im Pressezentrum gingen selbst nach diesem Qualitätsopfer noch von schwarzem Vorteil aus, aber Kasparow hatte die entstehende Stellung richtigerweise als gewonnen für sich eingeschätzt. 26... exf6 Das Nehmen mit dem Läufer überlebt Schwarz laut Kasparow nach 27.Tf1 gefolgt von 28.Dh7+ nicht lange. 27.Dh7+ Kf8 28.Sd4 Te5 Es drohte 29.Lf5. 29.Lxe5 fxe5 30.Se6+! Lxe6 31.dxe6 Tc7 32.Lxa4 Judit Polgar wies in der Analyse auf 32.Lg6! hin, was schneller gewinnt. 32...d5 33.Df5 Dc4 34.Ld7 Df4 35.Db1 fxe6 36.Lxe6 Ke7 37.Lxd5 Td7 38.c4 De3 39.Dh7 Kd8 40.Tb1 Df4 41.Le6 Te7 42.Lg4 Tf7 43.Dd3+ Dd4 44.Dg6 Schwarz gab auf. Die Kolumne erschien am 2. Februar 2000 in der Zeitung DIE WELT.