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Info-Mail Schach Nr. 91


Hallo Schachfreunde,

das Jahr (das Jahrtausend) ist nun unwiderruflich zu Ende, und wir
wollen es mit der Nr. 91 von Info-Mail Schach verabschieden.

Zunächst werden wir noch einmal das Finale der FIDE-WM in Teheran
Revue passieren lassen. Hierzu bemühen wir wieder einmal GM Lutz,
der schon in der Vergangenheit den Verlauf eines Turnier spannend,
kompetent und unterhaltsam kommentiert hat. Natürlich habe ich die
vier Finalpartien in dieses Tagebuch eingetragen, so dass Ihr über die
Feiertage gut mit Schachmaterial versorgt seid.

Neues gibt es von der FIDe zu berichten. Die Tendenz zur Verkürzung
der Bedenkzeit geht weiter. Ab 1. Januar 2001 will die FIDE für
ihre Turniere die Bedenkzeit weiter verkürzen. Da langfristig wohl
auf allen Ebenen die Bedenkzeit verkürzt werden dürfte, ist dies wohl
auch für das Blindenschach ein Thema. Da sich alle neuen Bedenkzeitmodelle
auf die sog. Fisher-Uhr stützen (nach jedem Zug bekommt der Spieler eine
automatische Zeitgutschrift von z.B. 30 Sekunden) tun sich hier für das
Blindenschach besondere Probleme auf. Es heißt endgültig Abschied
nehmen von den mechanischen Uhren. Das wäre weiter nicht schlimm, wenn
es denn vernünftige elektronische Schachuhren gäbe, die für Blinde voll
bedienbar wären. Die gibt es aber - zumindest im Moment - nicht, schon
gar keine Fisher-Uhren. Es besteht also Handlungsbedarf und zwar bald.
In erster Linie scheint mir hier die IBCA gefordert, da durch die
relativ geringen Stückzahlen nationale Alleingänge wohl kaum von
Erfolg gekrönt sein dürften.

Ferner hat die FIDE wieder Veränderungen im WM-Modus beschlossen.
Im Großen und Ganzen bleibt es allerdings bei der bisherigen
Austragung einer K.O.-WM. Diese wird gleichzeitig als Qualifikation
für eine Grand Prix Serie fungieren.

Gleichzeitigt versucht die FIDE - in der Person des Präsidenten - die
Spitzenspieler insbesondere den Weltmeister "an die Kette" zu legen. Er
soll nur noch von der FIDE organisierte Turniere spielen dürfen. Man
wird abwarten müssen, ob sich das die Spitzenverdiener gefallen lassen
werden.

Ja, und das war es dann für dieses Jahr! Doch halt, nicht ganz! Es
fehlt noch etwas. Wir hatten noch keine Meldung von/über Bobby Fisher.
Diesem Manko wird am Ende dieser Mail aber auch noch abgeholfen.

Das Team von Info-Mail Schach wünscht allen Leserinnen und Lesern einen
guten Rutsch ins neue Jahr, nicht zuletzt auch viel Spaß und Erfolg
auf den 64 Feldern.

Möge Euer König 2001 von einer Odyssee auf dem Schachbrett verschont
bleiben.

Viele Grüße von
Toni aus Augsburg


Schachweltmeisterschaft 2000

Finale (1.Partie), 20.12.2000
Anand und Shirov sind von New Delhi nach Teheran umgezogen. Einerseits
bedeutet dieser Umzug natürlich zusätzlichen Stress für die Kontrahenten,
andererseits werden sie sicherlich froh sein, eine Pause vom Schachbrett zu
machen. Aber heute geht es wieder ran. Shirov erwischt zum Auftakt die weißen
Steine und eröffnet mit 1.e4. Aber Anand wartet mit einer Überraschung auf,
der Inder wählt die französische Verteidigung. Zu Anfang dieses Jahres hatte
Anand bereits diese Eröffnung in Schnell- und Blitzpartien angewandt, meist
mit der Folge 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4. Shirov weicht jedoch dieser Variante aus
und wählt stattdessen die Vorstoß-Variante 3.e5. Es entsteht ein seltenes
Abspiel, in dem Shirov den Bd4 opfert. Er hat genügend Kompensation, aber
auch nicht mehr. Anand verteidigt sich genau und nach 34 Zügen entsteht ein
korrektes Remis. Damit kann Anand einen minimalen Punktsieg landen, denn er
hat seine erste Schwarzpartie "überlebt". Wie schon in seinem Match gegen
Adams kopiert der Inder die Eröffnungen seines Gegners (in der letzten Zeit
stellte der Franzose eine wichtige Waffe in Shirovs Repertoire gegen 1.e4 dar),
so um zu signalisieren: "Spiel diese Eröffnung besser nicht ..."

Shirov,A (2745) - Anand,V (2760) [C02]
FIDE WCh KO, Tehran IRI (7.1), 2000
1. e4 e6 2. d4 d5 3. e5 c5 4. c3 Sc6 5. Sf3 Db6 6. a3 a5 7. Ld3 Ld7 8.
0-0 cxd4 9. cxd4 Sxd4 10. Sxd4 Dxd4 11. Sc3 Db6 12. Dg4 g6 13. Le3 Lc5
14. Sa4 Lxa4 15. Dxa4+ Kf8 16. Lxc5+ Dxc5 17. Tac1 Db6 18. Dd7 Td8 19.
Dc7 Dxc7 20. Txc7 Tb8 21. Tfc1 Se7 22. f4 Sc6 23. Tc5 Kg7 24. Tb5 g5 25.
g3 h5 26. Tbxb7 Txb7 27. Txb7 h4 28. Kg2 hxg3 29. hxg3 gxf4 30. gxf4 Th4
31. Kg3 Th1 32. Kg2 Th4 33. Kg3 Th1 34. Kg2
1/2

Finale (2.Partie), 21.12.2000
Die Parallelen zum Anand-Adams-Match aus dem Halbfinale erstaunlich: Anand
hat Weiß und spielt 1.e4, der Gegner weicht von seinem Stammrepertoire ab
(eine Folge der schlauen Eröffnungswahl Anands in der ersten Partie !?) und
wählt die Onischuk-Variante im geschlossenen Spanier und am Schluss ist Anand
jeweils der Sieger. Damit hören jedoch die Gemeinsamkeiten auf. Während Adams
in einem strategischen Kampf niedergerungen wird, ist heute vor allem eine
interessante Neuerung für den Sieg Anands verantwortlich. Nach 7.Lc2 spielt
Shirov nicht 7...d6 (Adams' Wahl) sondern das schärfere 7...d5, was zuletzt
in einigen Partien von Onischuk zu befriedigenden schwarzen Stellungen führte.
Aber Anand hat das giftige 8.a4!? parat. Shirov muss sich am Brett mit der
Hausanalyse Anands auseinandersetzen und verbraucht dabei einen Großteil
seiner Bedenkzeit. Er muss genau spielen, um seinen Minusbauern
zurückzugewinnen, doch Anand stellt ihm permanent Probleme. Schließlich, mit
dem Unentschieden in greifbarer Nähe, aber in hochgradiger Zeitnot, greift
Shirov fehl, und läßt den Übergang in ein praktisch kaum haltbares Turmendspiel
zu. Nach 64 Zügen schließlich kann Anand den Punkt einfahren. Wie sich zeigen
wird, stellt diese Partie bereits eine Vorentscheidung dar.

Anand,V (2760) - Shirov,A (2745) [C78]
FIDE WCh KO, Tehran IRI (7.2), 2000
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. 0-0 Lc5 6. c3 b5 7. Lc2 d5
8. a4 dxe4 9. axb5 Lg4 10. Lxe4 Sxe4 11. bxc6 0-0 12. d4 exd4 13. cxd4
Lb6 14. Sc3 Te8 15. Le3 Dd6 16. d5 Lxe3 17. fxe3 Tad8 18. Txa6 Sxc3 19.
bxc3 Dxd5 20. Dxd5 Txd5 21. Sd4 g6 22. Tf4 Lf5 23. Ta7 Txe3 24. c4 Tc5
25. Txc7 Te4 26. Txe4 Lxe4 27. Te7 Lf5 28. c7 Kf8 29. Sxf5 gxf5 30. Td7
Kg7 31. Td4 Txc7 32. Kf2 Kf6 33. Ke3 Ke6 34. g3 f6 35. Kd3 Ta7 36. Kc3
Ke5 37. Th4 Tb7 38. Tf4 Tb1 39. Tf2 Tc1+ 40. Kb4 Ke6 41. Kb5 Kd6 42.
Txf5 Tb1+ 43. Ka4 Tb2 44. Txf6+ Kc5 45. Th6 Kxc4 46. Th4+ Kd5 47. Txh7
Ke5 48. Ka3 Tb8 49. Th5+ Kf6 50. Th4 Kg5 51. Tb4 Th8 52. h4+ Kh5 53.
Tb5+ Kh6 54. g4 Te8 55. Tb4 Kg6 56. Tb6+ Kf7 57. Tb7+ Ke6 58. Th7 Tb8
59. g5 Kf5 60. Th6 Ke5 61. h5 Kf5 62. g6 Kf6 63. Th7 Tg8 64. Kb3
1-0

Finale (3.Partie), 22.12.2000
Einmal mehr kann Anand in der Eröffnung eine Überraschung landen. Er spielt
die Taimanov-Variante, mit der er beim Schnellturnier in Frankfurt gegen
Shirov siegreich war. Diesmal wählt er nicht die Hauptvariante 9...Le7 (da
Shirov sich dagegen sicherlich etwas überlegt haben wird), sondern wählt das
seltene Abspiel 9...Ld6 10.g3 b5. Shirov gewinnt einen Bauern, muss aber dafür
seine Bauernstellung kompromittieren. Um nicht die Initiative zu verlieren,
opfert er auf f6 die Qualität. Aber wie sich bald zeigt, ist dieses Opfer nicht
korrekt und Schwarz bekommt die bessere Stellung. Nach 41 Zügen muss sich Shirov
einmal mehr geschlagen geben. Damit geht Anand mit 2,5:0,5 in Führung.

Shirov,A (2745) - Anand,V (2760) [B49]
FIDE WCh KO, Tehran IRI (7.3), 2000
1. e4 c5 2. Sf3 Sc6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Dc7 5. Sc3 e6 6. Le2 a6 7. 0-0
Sf6 8. Le3 Lb4 9. Sa4 Ld6 10. g3 b5 11. Sb6 Tb8 12. Sxc8 Txc8 13. a4
Sxd4 14. Lxd4 e5 15. Le3 Lc5 16. axb5 Lxe3 17. fxe3 axb5 18. Lxb5 0-0
19. Txf6 gxf6 20. Lxd7 Ta8 21. Dg4+ Kh8 22. Tf1 Tg8 23. Dh3 Dc5 24. Lf5
Dxe3+ 25. Kg2 h6 26. Dh5 Kg7 27. Dg4+ Dg5 28. Df3 Tgd8 29. h4 Dd2+ 30.
Kh3 Td6 31. Tf2 Dd1 32. Kg4 Ta2 33. Dxd1 Txd1 34. c4 Tb1 35. Td2 Taxb2
36. Td7 Tb7 37. Td6 Tc7 38. Kh5 Tc1 39. g4 T7xc4 40. Td7 Tc7 41. Td8 Th1
0-1

Finale (4.Partie), 24.12.2000
Was wohl in Shirov während des Ruhetages vorgegangen sein mag ? Aus den
letzten drei Partien (davon zwei mit Schwarz !) muss er unbedingt 2,5 Punkte
holen. Wenn sich Anand nicht selbst  umbringt, schafft das kein Spieler der
Welt, egal ob dieser Spieler Kramnik, Kasparov, Deep Blue oder wie auch immer
heißt. Auf dem Brett entsteht eine verschachtelte Stellung im
Steinitz-Franzosen. Weiß hat Raumvorteil dank seiner Bauernkette c3-d4-e5,
allerdings muss er dafür mit seinen Figuren allerlei Verrenkungen unternehmen,
um den "Deckel draufzuhalten". Schließlich bringt Shirov ein typisches
Figurenopfer auf e5, für dass er er zunächst zwei Bauern und Spiel
gegen den weißen König erhält. Anand gibt bereitwillig einen dritten Bauern,
um dafür den Damentausch anzubieten, Shirov weicht diesem verständlicherweise
aus. Aber sein Textzug 19...Df6? ist objektiv ein Fehler, richtig ist gerade der
Damentausch 19...Dxe2+ mit Kompensation für die Figur (aber auch nicht mehr).
Anand bekommt die Stellung unter Kontrolle, Shirov opfert noch eine zweite
Figur. Am Lauf der Partie ändert dies jedoch nichts mehr, nach 41 Zügen kann
Anand den Sieg und den WM-Titel einstreichen.

Anand,V (2760) - Shirov,A (2745) [C11]
FIDE WCh KO, Tehran IRI (7.4), 2000
1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. e5 Sfd7 5. Sce2 c5 6. f4 Sc6 7. c3 Db6
8. Sf3 f6 9. a3 Le7 10. h4 0-0 11. Th3 a5 12. b3 Dc7 13. Seg1 a4 14. b4
fxe5 15. fxe5 Sdxe5 16. dxe5 Sxe5 17. Sxe5 Dxe5+ 18. De2 Lxh4+ 19. Kd1
Df6 20. Sf3 Dxc3 21. Lb2 Db3+ 22. Kc1 e5 23. Txh4 Lf5 24. Dd1 e4 25.
Dxb3 axb3 26. Sd2 e3 27. Sf3 Tae8 28. Kd1 c4 29. Le2 Le4 30. Kc1 Te6 31.
Lc3 Tg6 32. Th2 Ld3 33. Lxd3 cxd3 34. Kb2 d2 35. Kxb3 Tg3 36. Kb2 g5 37.
Kc2 Tc8 38. Kd3 g4 39. Le5 Tc1 40. Th1 Txg2 41. Sh4
1-0

Damit ist nach fast einem Monat die Weltmeisterschaft beendet. Das Finale
stellt zwar angesichts seines klaren Ausgangs eine kleine sportliche
Enttäuschung dar, dennoch wurde in den vergangenen Wochen viel interessantes
Schach geboten. Mit Anand hat auch der Spieler gewonnen, der es am eindeutigsten
verdient hat. Anands Sieg war nur einmal gefährdet, nämlich in seinem Match
gegen Khalifman. Hier musste der Inder in den Tiebreak und war in der zweiten
Schnellschachpartie bereits mit einem Bein ausgeschieden. Aber sich nur einen
kleinen Wackler in einem derartig nervenaufreibenden Turnier zu erlauben, ist
dennoch eine phänomenale Leistung.
Da Anand ein würdiger Weltmeister und zudem eine umgängliche Person ist, gibt
es bei den Schachspielern durchaus die Hoffnung, dass zumindest Kramnik wieder
in das FIDE-Boot aufgenommen werden kann, vielleicht in einer Art
"Wiedervereinigungskampf". Ob sich dieser fromme Wunsch erfüllen wird, muss
die Zukunft zeigen.


Mittwoch, 27.12.2000
Die neue, offizielle FIDE-Zeitkontrolle ab 1.1.2001 ist nunmehr nicht
mehr 40/100min + 20/50min + 10min/Rest + 30sec/Zug sondern nunmehr 40/75min
+ 15min/Rest und 30sec pro Zug ab Zug 1. Diese gilt für alle FIDE-Turniere
wurde gestern auf der Präsidiumssitzung der FIDE in Tehran beschlossen.
Angeblich war neben der FIDE-General-Versammlung eine "überwältigende
Mehrheit der Top-Spieler" dafür. Der neue Weltmeisterschaftsmodus wird für
erfolgreich befunden. Lediglich die Anzahl der Teilnehmer wächst von 100 auf
128. Das Freilos für die gesetzten Spieler der ersten Runde entfällt.
("Keine speziellen Privilegien mehr"). Die besten 8 Spieler der "World
Internet Championships" sind für die WM qualifiziert. Ein System von
Grand-Prix-Turnieren im Rahmen des "FIDE-Commercialisation-Programs" ist in
Planung.
Handschellen für den Weltmeister und einen Maulkorb für die Presse von
der schachlichen Oberhirtenschaft
Handschellen legt die FIDE den zukünftigen Weltmeistern an: Jeder
Gewinner einer FIDE-Weltmeisterschaft muß seinen Titel bei der nächsten WM
verteidigen und darf nicht an anderen Veranstaltungen teilnehmen, die eine
andere Weltmeisterschaft begründen. Ebenso wird jeder Weltmeister, der
seinen Titel nicht verteidigen kann, zum Ex-Weltmeister. Lustig: "Mitglieder
der Presse und der allgemeinen Öffentlichkeit werden hiermit angewiesen,
bzw. sind anzuweisen, sich entsprechend zu verhalten." Ups: Maulkorb für die
Presse. Jawohl unser Fide.

Donnerstag, 28.12.2000
Anand gegen Bobby Fischer? Es ist wieder so weit, die Gerüchteküche
kocht: Diesmal taucht Old Bobby wieder auf. In Spanien soll am 16.4. ein 12
Partien-Match des amtierenden FIDE-Weltmeisters mit der Schachlegende
schlechthin stattfinden, schreibt Ajedrez Actual. Um 1,5 Mio. US$ soll es
gehen. Parallel dazu gibt es ein Turnier mit Schirow, Kasparow, Khalifman,
Karpow und anderen.

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