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Info-Mail Schach Nr. 176


Hallo Schachfreunde,
in Augsburg kämpft man mit den Besonderheiten des neuen Computers und
bereitet sich (hoffentlich richtig) auf das Open in Bad Wörishofen
(0.7.-15.03.) vor - in Leimen kämpft man mit den Folgen der langen
olympischen Nächte und bereitet (hoffentlich richtig) Schachergebnisse aus
dem Internet auf.
In Cannes (Frankreich) startete ein hochkarätig besetztes Turnier - die
Allerbesten treffen sich jedoch in Linares (Spanien). Am Ende dieser Mail
gibt es einen Bericht zu diesem Traditionsturnier, das als Wimbledon des
Schachs bezeichnet wird - Vorschau - Rückblick - auch nichtschachliche
Dinge - Ergebnisse später.
Wie solche Turniere - ohne deutsche Beteiligung - eine deutsche
Mannschaftsmeisterschaft beeinflussen können, schildert
www.chessbase.de in den Kommentaren zum Bundesligawochenende.
Viel Spaß beim Lesen wünscht
Herbert Lang

BUNDESLIGA
8.Runde am Samstag, 23.02.2002
Lübeck in Not
Wenn in Europa die großen Turniere stattfinden, gerät der Lübecker SV
in Schwierigkeiten. Denn dann spielen seine Stars Shirov, Adams und
Bareev in der Bundesliga nicht mit. Nur mit Mühe konnte der Meister
heute ersatzgeschwächt die Mannschaft des Erfurter SK niederhalten.
Luther, Votava und Elisabeth Pähtz punkteten für die Thüringer,
Hodgson, Nunn, Hansen und Hector für Lübeck. Am Ende kam ein
knapper Erfolg zustande. Wie wird es morgen gegen Plauen aussehen?
Einen deutlichen Sieg landete Solingen gegen Tegernsee, der
Hamburger SK freut sich über einen ebenso klaren Sieg über Plauen
und Königsspringer kam zum ersten Mannschafts-punkt gegen
Wattenscheid. Es geht doch!

Plauen - Hamburger SK           2,0-6,0
Erfurter - Lübeck               3,5-4,5
Solingen - Tegernsee            6,0-2,0
Heiligenhaus - Stuttgart        1,5-6,5
Castrop - Bremen                2,5-5,5
Wattenscheid - Ksp Hamburg      4,0-4,0
Neukölln - Porz                 1,5-6,5
Godesberg spielfrei

9. Runde am Sonntag, 24.02.2002
The Empire strikes back
Nach dem gestrigen Schwächeln kannte Lübeck heute gegen Plauen
kein Pardon: 6,5 zu 1,5 hieß es schließlich, obwohl Speelman am
Spitzenbrett erneut den ganzen Punkt abgab. Lübeck musste auf
Shirov, Adams, Vallejo Pons (Linares) und Bareev (Cannes)
verzichten. Solingen, ohne Lautier und Morozevich (Cannes),
schaffte es gegen Stuttgart nicht, acht Spieler ans Brett zu bringen.
Brett zwei blieb leer. Die Solinger verloren den Wettkampf mit 3:5.
Neue dritte Kraft hinter Lübeck und Porz ist Bremen.

Hamburger SK - Erfurt     4,5-3,5
Lübeck - Plauen           6,5-1,5
Tegernsee - Heiligenhaus  5,5-2,5
Stuttgart - Solingen      5,0-3,0
Bremen - Wattenscheid     5,5-2,5
Ksp Hamburg - Castrop     3,5-4,5
Godesberg - Neukölln      4,0-4,0
Porz spielfrei

TABELLE - nach 9 von 15 Runden
 1. Lübecker SV             9   47,5 : 25,5     17- 1
 2. SG Köln Porz            8   43,0 : 21,0     14- 2
 3. SV Werder Bremen        9   45,0 : 26,5     13- 5
 4. TV Tegernsee            9   41,5 : 30,5     12- 6
 5. Solinger SG             8   37,5 : 26,5     10- 6
 6. SFR Neukölln            8   34,0 : 30,0     10- 6
 7. Hamburger SK            9   37,5 : 34,5     10- 8
 8. Stuttgarter Sfr         9   39,0 : 33,0      9- 9
 9. Godesberger SK          8   33,0 : 31,0      8- 8
10. Castrop Rauxel          8   30,5 : 33,5      8- 8
11. SV Wattenscheid         8   29,0 : 35,0      5-11
12. Erfurter SK             8   27,5 : 36,5      4-12
13. SK König Plauen         8   23,5 : 40,5      3-13
14. SG Heiligenhaus         8   16,5 : 47,5      2-14
15. Ksp Hamburg SC          9   19,0 : 53,0      1-17


LINARES 2002
Manege frei für den Schachzirkus von LEONTXO GARC A.(bei www.chessbase.de)
Römischer Kampfplatz, Zirkus oder virtuelle Arena? Linares, das Wimbledon
des Schach, hat von allem etwas:  Gladiatoren, die auf Leben und Tod
kämpfen, Artisten, Raubtiere und ein große Anzahl von Zuschauern, die das
Spektakel über das Internet verfolgen. Garry Kasparov, der Menschenfresser
aus Baku, möchte ab morgen mal wieder seine vier größten Lieblingsopfer
demütigen: Viswanathan Anand, Michael Adams, Vasili Ivanchuk, Alexei Shirov
und natürlich besonders den neuen offiziellen Weltmeister, Ruslan
Ponomariov. Außerdem debütiert diesmal ein hochtalentierter Spanier:
Francisco Vallejo, der U18 Weltmeister von 2000.
Es ist nicht nötig, dass die Mauern des Hotels Aníbal sprechen, damit wir
be-
greifen, dass wir uns an einem heiligen Ort befinden, denn die Wände sind
voll von Fotos berühmter Schachspieler, die seit 1978 viele Nerven in dieser
Stadt der Provinz Jaén haben lassen müssen.
Die Hotelangestellten verwöhnen die fünf Stars, die mittlerweile fast schon
zur Familie gehören: der aggressive Kasparov, der Vegetarier Anand, der
stille Adams, der nervöse Ivanchuk und das undurchschaubare Genie Shirov.
Sie betreten kaum die Straße, höchstens, für kurze Spaziergänge, denn diese
Mauern sind die Austragungsort Ihrer großen jährlichen Verabredung mit
Schachgöttin Caissa. Auch die beiden jungen Spieler Ponomariov und Vallejo
werden bald von dem besonderen Ambiente des Turniers angesteckt werden.
Das Hotel und der Spielsaal sind im Innern durch einen Korridor miteinander
verbunden, den Kasparov in den nächsten zwei Wochen (außer an den
spielfreien Tagen am 27. 2. und 5.3.) jeden Tag mit seinem Raubtiergang
entlang schreiten wird, um sich vom Mönch zum Gladiator zu verwandeln. In
Linares, wohin er in Begleitung seiner Mutter Clara Kasparova und seines
Trainers Yuri Dojoian gereist ist, ist sein häufigster Seelenzustand der der
Wut: Der Zorn ist unverzichtbar für ihn, um Jahr für Jahr aufs neue zu
beweisen zu können (er ist mittlerweile 38 Jahre alt und wurde mit 22 Jahren
jüngster Weltmeister aller Zeiten), dass er die "Nummer eins" ist; derjenige
der sich am besten vorbereitet und am härtesten kämpft.  Und er braucht es
auch, der Beste zu sein, denn dazu wurde er erzogen und zu nichts anderem.
Er ist ein echtes Wettkampftier.
Wie immer, wird Clara Kasparova einige Zeit vorher ins Restaurant hinunter
gehen, um schon mal das Essen für ihren Sohn zu bestellen. Vor drei Jahren
änderte Garry Kasparov seine Diät. Jetzt besteht ein "normales" Essen für
ihn aus einem Salat mit Tomaten, Paprika, Zwiebeln und Käse, gefolgt von
gebratenem Fisch. Bis 1999 verschlang er eine halbe Stunde vor der Partie
Lachs und Filetsteaks:  "Während der Eröffnung verdaue ich, in dieser Phase
brauche ich nicht viel Konzentration. Die gesammelte Energie des Essens
verbrenne ich dann während des Mittelspiels, denn dort brauche ich sie am
nötigsten", erklärte er damals. Jetzt isst er erst abends Fleisch.
Wie fast immer, bewohnt Kasparov die 'Suite' 103 und er hat seiner Mutter,
die im Nachbarzimmer untergebracht ist, für den Notfall einen Nachschlüssel
anfertigen lassen. Anand und seine Frau Aruna bewohnen eine weitere 'Suite',
die mit der Nummer 135, Wand an Wand mit der von Kasparov. Deshalb sollte
Anand auch besser im Flüsterton mit seinem Trainer Elizbar Ubilava sprechen,
wenn er mit ihm Partien analysiert, genau wie umgekehrt Kasparov mit
Dochoian. Vor vielen Jahren, als die Rivalität zwischen Kasparov und Karpov
ihren Gipfel erreichte, war es dieser, der die Nummer 135 bewohnte, was
natürlich noch zu einer Steigerung der Spannung bei der psychologischen
Kriegsführung zwischen beiden beitrug.
Ausgerechnet das erste Duell um die Weltmeisterschaft zwischen Kasparov  und
Karpov verursachte auf indirekte Art eine unvergessliche Episode. Es war im
Februar des Jahres 1985. Der damalige FIDE Präsident Philippine Florencio
Campomanes hatte in jenen Tagen gerade einen der größten Skandale der
Schachgeschichte heraufbeschworen, indem er dieses Duell ohne Sieger nach
fünf Monaten des Kampfes und unter starkem Druck des Kremls absagte. Karpov
hatte 5-3 gewonnen (es wurde auf sechsmal Sieg gespielt), verlor aber die
zwei letzten Partien, die 47. und 48. Die von den Agenturen veröffentlichten
Fotos zeigten, dass Karpov an extremer Erschöpfung litt. Nachdem der
Sowjetische Schachverband ihn zu einer Erholungskur nach Österreich
geschickt hatte, teilte der Verband dem Turnierveranstalter von Linares,
Luis Rentero, tatsächlich mit, dass der damalige Weltmeister Karpov nicht in
der Verfassung sei, das Turnier mitzuspielen, und dass er deshalb an seiner
Stelle den Großmeister Igor Makarischev schicken werde.
Die Entscheidung Campomanes führte dazu, dass der Verlag der 'New York Times
' und Rentero die selbe Philosophie teilten: Der Zweck heiligt die Mittel.
Da Linares damals noch nicht dasselbe Prestige genoss wie heute, sah Rentero
dies als die Chance überhaupt, um seinem Turnier in die Schlagzeilen zu
verhelfen: Er tat einfach so, als habe er die Mitteilung des Sowjetschen
Schachverbands niemals erhalten. Um 19.00 Uhr des Tages der Turniereröffnung
war das Rathaus von Linares vollgestopft mit Prominenz, Journalisten,
Kameras, Kabeln und Mikrofonen: Alle erwarteten gespannt auf Karpov aber
stattdessen erschien Makarischev auf der Bildfläche. Mit der Arroganz eines
Toreros richtete Rentero das Word an die Presse: "Der Sowjetische
Schachverband wird sich nicht über das Volk von Linares lustig machen. Wir
haben Karpov eingeladen. Deshalb wird Makarischev das nächste Flugzeug
besteigen und zurück nach Moskau fliegen".
Heute sind keine Skandale mehr nötig, um dem Turnier seinen Glanz zu
verleihen. Seit seines furchtbaren Autounfalls ist Rentero gesundheitlich
nicht mehr dazu in der Lage, das Turnier zu organisieren. Aber das hohe
Niveau an Kampfgeist, das er durch die Einführung von Strafgeldern für
schnelle Remisen und 'schwarze Listen' für Rückfällige, die dann nie wieder
eingeladen wurden erreichte, bleibt bestehen. Es ist sehr wahrscheinlich,
dass Rentero morgen während der ersten Runde im Pressesaal auftaucht und
etwas ähnliches sagt, wie jedes Jahr: "In dieser Kampfarena der Gladiatoren
töten sie sich wirklich. Es ist Blut in fast allen Partien. Dies ist ein
wirkliches Schachturnier."
Übersetzung: Nadja Woisin

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