Hallo Schachfreunde, an diesem Wochenende startet in Linares (Spanien) eines der Top-Ereignisse im Schachgeschehen dieses Jahres. Sieben Weltklassespieler kämpfen in den nächsten beiden Wochen um den Turniersieg und die Preisgelder. Erfreulich aus der Sicht des Blindenschach ist, dass auch in diesem Jahr wieder - sozusagen als Rahmenprogramm - am gleichen Ort und zur gleichen Zeit ein hochkarätig besetztes Blindenschachturnier stattfindet. Schade nur, dass auch in diesem Jahr kein Spieler aus Deutschland beteiligt ist. Hier die Startliste: 1. Krylov Sergey............. RUS 2388 IM 2. Berlinsky Vladimir........ RUS 2384 IM 3. Dukaczewski Piotr......... POL 2350 IM 4. Bjerring Kai.............. DEN 2286 IM 5. Jounousov Mouret.......... KAZ 2237 IM 6. Trkaljanov Vladimir....... MKD 2199 7. Enjuto Velasco Roberto.... ESP 2192 8. Nizam Rasim............... BUL 2182 9. Pribeanu Dacian........... ROM 2151 10. Portugues Rodriguez Rafael ESP 2137 Wir werden versuchen, Euch laufend und aktuell über beide Ereignisse zu informieren. Den Hauptpunkt dieser Mail bildet ein Interview mit dem blinden internationalen Fernschachmeister Ludwig Zier, der vor allem in den 80er Jahren auch am Brett der bundesdeutsche Spitzenspieler im Blindenschach war. Das Interview ist bei "Correspondence Chess News" erschienen und wurde in englischer Sprache veröffentlicht. Das Original findet Ihr bei http://ccn.correspondencechess.com/ Die deutsche Übersetzung findet Ihr unten. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und ein schönes Wochenende Euer Toni aus Augsburg Ein Mann mit vielen Schachinteressen Ein Interview mit dem Internationalen Fernschachmeister Ludwig Zier Von Volker Jeschonnek, mit wesentlichen Beiträgen von Junior Tay und Santhosh Matthew Paul. Einleitung Manchmal wird einem ein Projekt vorgeschlagen, daß man einfach tun muß. Als Santhosh Matthew Paul jemandem suchte, der ein Interview mit dem Internationalen Fernschachmeister Ludwig Zier in deutscher Sprache führen könnte, musste ich einfach "Ja" sagen. Zu dieser Zeit kannte ich Ludwig Zier zwar nicht, hatte aber schon viel von ihm gehört. In der Tat verdanke ich der Gemeinschaft der blinden Schachspieler eine Menge. In den frühen achtziger Jahren, als ich noch in Deutschland lebte, traf ich Ewald Heck in unserem lokalen Schachklub, dem 1. SK Troisdorf. Ewald ist blind und damals tat er (und das ist wahrscheinlich immer noch so) eine Menge Schacharbeit. Er war Pressewart des Klubs. Er war außerdem Präsident und ein Hauptorganisator der Blindenschachgruppe Köln-Bonn. Ich verbrachte viele glückliche Stunden in diesem Klub und Ewald ermöglichte mir die Teilnahme an vielen "gemischten" Turnieren für sehende und blinde Schachspieler. Wenn mich die Erinnerung nicht trügt war es 1985 als ich Ewald zur Nordrhein-Westfälischen Blindenschachmeisterschaft in Valbert begleitete. Obwohl dies ein offizielles Qualifikations-Turnier zur deutschen Blindenmeisterschaft war, gestattete man mir großzügigerweise die Teilnahme. Natürlich konnte ich mich nicht qualifizieren und mein Ergebnis blieb inoffiziell, aber die Ergebnisse meiner Gegner gegen mich zählten. Während des Turniers wurde Ludwigs Name oft erwähnt. Es gab da keine Frage - er war der Topfavorit für den deutschen Meistertitel. Aber nun ist es Zeit Ludwig Zier zu Worte kommen zu lassen. Interview Frage: Bitte erzählen Sie uns etwas über sich. Antwort: Ich bin 47 Jahre alt, verheiratet, habe 2 Kinder (11 und 7 Jahre) und bin seit meinem 9. Lebensjahr blind. Ich wohne in Wunsiedel, Fichtelgebirge. Dies ist eine Kleinstadt mit ca. 10.000 Einwohnern und liegt in Nordbayern (ca. 50 km von Bayreuth entfernt). Beruflich war ich über 25 Jahre beim Landratsamt Wunsiedel beschäftigt. Seit dem letzten Jahr bin ich aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähig geworden. Frage: Sie sind eine Berühmtheit für blinde Schachspieler in Deutschland. Können Sie uns ein wenig dazu sagen? Antwort: Schach habe ich im Alter von 14 Jahren begonnen. Von 1981 bis 1987 gewann ich in ununterbrochener Reihenfolge die Deutsche Blindenschachmeisterschaft, insgesamt viermal (jeweils ungeschlagen). 1982 belegte ich bei der Blinden-einzelweltmeisterschaft in Hastings (England) den 4. Platz. 1988 belegte ich mit der deutschen Mannschaft bei der Blindenschacholympiade in Ungarn am 1. Brett spielend den 3. Platz. Seit Ende 1990 spiele ich nicht mehr im Blindenschach (vor allem aus gesundheitlichen Gründen). Frage: Sie haben ebenfalls in vielen "normalen" Nahschachturnieren teilgenommen ... Ziemlich erfolgreich, möchte ich anmerken. Antwort: Ich habe 4-mal an den deutschen Meisterschaften der Sehenden teilgenommen (fast immer 4,5 aus 11). Ich war Zweiter beim Open in Limoges (Frankreich); Zweiter beim Open in Bergamo (Italien); 5.-7. Platz bei Eloturnier in München; 7. Platz bei Open Bad Ragaz (Schweiz). Teilnahme am OHRA-Großmeisterturnier B in Amsterdam und Teilnahme am IBM-Einladungsturnier in Wien (Sieger Karpow). Außerdem spielte ich insgesamt 5 Jahre in der 2. Bundesliga. Frage: Und dann ist da noch das Fernschach. Antwort: Fernschach spiele ich seit ca. 27 Jahren. Mit etwas mehr Aufmerksamkeit aber erst seit 1991. Ich konnte hier das EU/M/GT/368 mit 12 aus 14 gewinnen. Das MN/2 konnte ich mit 8 aus 10 gewinnen (1. IM-Norm). Im MN/75 erreichte ich 7 aus 10 (2. IM-Norm und Titel). Zur Zeit spiele ich das Semifinale zur 26. FSWM. Ich bedauere die Entwicklung im Fernschach, da starke PC-Programme zu sehr Einfluss genommen haben. Ich selbst kann solche Programme nur in sehr begrenztem Umfang benutzen, da ein Blinder große Probleme mit der grafischen Benutzeroberfläche hat. Frage: Sie sind ebenfalls aktiv im Schulschach. Antwort: Seit letztem Jahr wird bei uns aufgrund meiner Initiative zum ersten Mal Schach an der Grundschule in Wunsiedel angeboten (Klassen 1 bis 4). Ich bin für den inhaltlichen Ablauf verantwortlich. Um die Aufsicht zu übernehmen und mir die Züge auf dem Demonstrationsbrett auszuführen, steht mir ein Lehrer zur Seite. Den Kurs besuchten 20 Kinder (6 bis 10 Jahre). In diesem Schuljahr werden ein Kurs für Fortgeschrittene und ein Kurs für Anfänger angeboten. Anmerkung von Junior Tay: Weitere Einzelheiten findet man im Artikel "Schulschach in Wunsiedel" bei http://www.schachbezirk-ofr.de/jugend/schulschach2002/wunsiedel/ Auch in diesem Schuljahr werde ich einen Kurs in unserem Gymnasium abhalten, da hier das Schachleben völlig zum Erliegen gekommen ist. Frage: Welche Partien halten Sie für Ihre besten im Nah- beziehungsweise Fernschach? Antwort: Man kann sicher die eine oder andere Partie veröffentlichen, aber eine herausragende Partie gibt es eigentlich nicht. An eine Partie aus meiner Jugendzeit erinnere ich mich sehr gerne, da ich zu diesem Zeitpunkt gerade erst 2 1/2 Jahre spielen konnte. Nachfolgend die Partie: Zier L. - Heidrich M. (1972) 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4.La4 Sf6 5. 0-0 Sxe4 6. d4 b5 7. Lb3 d5 8. dxe5 Le6 9. a4 Sa5 10. La2 c5 11. Sbd2 Sxd2 12. Lxd2 Sc6 13. Lg5 Dd7 14. axb5 Von hieran konnte ich die Partie bis zum Ende berechnen. 14... axb5 15. Lxd5 Txa1 16. Lxc6 Txd1 17. Txd1 f5 18. Lxd7+ Lxd7 19. e6 Lxe6 20. Td8+ Kf7 21. Se5+ Kg8 22. Le7 1-0 Frage: Gefällt Ihnen Fernschach besser als Nahschach? Oder ist es anders herum? Was ist der Grund? Antwort: Prinzipiell gefällt mir Nahschach etwas besser. Um im Nahschach einigermaßen mitspielen zu können, muss man körperlich gesund sein. Nachdem dies bei mir nicht mehr der Fall ist, muss ich das Nahschach sehr stark reduzieren. Im Fernschach bedauere ich den zu starken Einfluss von Computern. Hier spiegelt sich das wahre Schachverständnis oft nicht richtig wieder. Frage: Ist, beziehungsweise war, Ihr Eröffnungsrepetoire und Ihre Herangehensweise an eine Partie unterschiedlich in Nah- und Fernschach? Antwort: Mein Eröffnungsrepertoire ist einigermaßen breit gefächert. In erster Linie sind die Eröffnungsvarianten im Fernschach auf das Nahschachrepertoire ausgerichtet. Frage: Besitzen Sie viel Schachliteratur? Muß Ihrer Meinung nach ein Fernschachspieler gut belesen sein? Antwort: Ich besitze weit über 500 Schachbücher. Die Bücher sind alle in Schwarzschrift verfasst und ich bin wegen meiner Blindheit auf ständige Vorlesekräfte angewiesen. Dies bringt natürlich mit sich, dass ich hier nur sehr begrenzt mit diesen Büchern arbeiten kann. In der heutigen Zeit der Datenbanken muss ein Fernschachspieler nicht mehr so belesen sein, wie es vor ca. 15 Jahren noch der Fall war. Frage: Was sind Ihre schachlichen Ziele? Antwort: Im Nahschach werde ich nur noch mit meinen beiden Kindern ein Turnier pro Jahr in verschiedenen Kategorien spielen. Im Fernschach muss ich sehen, ob ich den blindheitsbedingten Nachteil der PC-Nutzung einigermaßen kompensieren kann. Falls dies nicht gelingt, habe ich in diesem Bereich keine besonderen Ziele. Mein Hauptaugenmerk werde ich vor allem auf das Trainieren von Kindern, vor allem in Schulen, legen. Frage: Was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit als Schachlehrer? Antwort: Mit Kindern zu arbeiten, ist für mich schachlich gesehen zur Zeit das Wichtigste. Meine Kurse an der Grundschule und am Gymnasium besuchen zur Zeit über 60 Kinder. Frage: Welchen Rat haben Sie für diejenigen, die sich ernsthaft mit dem Schachspiel beschäftigen möchten? Antwort: Sich möglichst in vielen Teilbereichen des Schachs zu informieren und sich "umzusehen". Unerlässlich ist das Studium alter Meister. Standardwerke wie Nimzowitsch "Mein System" oder Kmoch "Die Kunst der Bauernführung" oder klassische Turnierbücher sollten zur Ausbildung eines jeden Schachspielers gehören. Frage: Welchen Rat haben Sie für jemanden, der den ICCF-IM Titel anstrebt? Antwort: Nicht mehr als ein Turnier gleichzeitig spielen und versuchen, möglichst selbständige Analysen zu erstellen. Herr Zier, haben Sie vielen Dank für dieses Interview.