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Info-Mail Schach Nr. 244


Hallo Schachfreunde,

an diesem Wochenende startet in Linares (Spanien) eines der Top-Ereignisse
im Schachgeschehen dieses Jahres. Sieben Weltklassespieler kämpfen in den
nächsten beiden Wochen um den Turniersieg und die Preisgelder.

Erfreulich aus der Sicht des Blindenschach ist, dass auch in diesem Jahr
wieder - sozusagen als Rahmenprogramm - am gleichen Ort und zur gleichen
Zeit ein hochkarätig besetztes Blindenschachturnier stattfindet. Schade
nur, dass auch in diesem Jahr kein Spieler aus Deutschland beteiligt ist.

Hier die Startliste:

 1. Krylov Sergey............. RUS 2388 IM
 2. Berlinsky Vladimir........ RUS 2384 IM
 3. Dukaczewski Piotr......... POL 2350 IM
 4. Bjerring Kai.............. DEN 2286 IM
 5. Jounousov Mouret.......... KAZ 2237 IM
 6. Trkaljanov Vladimir....... MKD 2199
 7. Enjuto Velasco Roberto.... ESP 2192
 8. Nizam Rasim............... BUL 2182
 9. Pribeanu Dacian........... ROM 2151
10. Portugues Rodriguez Rafael ESP 2137

Wir werden versuchen, Euch laufend und aktuell über beide Ereignisse zu
informieren.

Den Hauptpunkt dieser Mail bildet ein Interview mit dem blinden
internationalen Fernschachmeister Ludwig Zier, der vor allem in den 80er
Jahren auch am Brett der bundesdeutsche Spitzenspieler im Blindenschach war.

Das Interview ist bei "Correspondence Chess News" erschienen und wurde in
englischer Sprache veröffentlicht. Das Original findet Ihr bei

http://ccn.correspondencechess.com/

Die deutsche Übersetzung findet Ihr unten.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und ein schönes Wochenende

Euer Toni aus Augsburg

Ein Mann mit vielen Schachinteressen

Ein Interview mit dem Internationalen Fernschachmeister Ludwig Zier
Von Volker Jeschonnek, mit wesentlichen Beiträgen von Junior Tay und
Santhosh Matthew Paul.

Einleitung
Manchmal wird einem ein Projekt vorgeschlagen, daß man einfach tun
muß. Als Santhosh Matthew Paul jemandem suchte, der ein Interview mit
dem Internationalen Fernschachmeister Ludwig Zier in deutscher Sprache
führen könnte, musste ich einfach "Ja" sagen. Zu dieser Zeit kannte
ich Ludwig Zier zwar nicht, hatte aber schon viel von ihm gehört. In
der Tat verdanke ich der Gemeinschaft der blinden Schachspieler eine
Menge. In den frühen achtziger Jahren, als ich noch in Deutschland
lebte, traf ich Ewald Heck in unserem lokalen Schachklub, dem 1. SK
Troisdorf. Ewald ist blind und damals tat er (und das ist
wahrscheinlich immer noch so) eine Menge Schacharbeit. Er war
Pressewart des Klubs. Er war außerdem Präsident und ein
Hauptorganisator der Blindenschachgruppe Köln-Bonn. Ich verbrachte
viele glückliche Stunden in diesem Klub und Ewald ermöglichte mir die
Teilnahme an vielen "gemischten" Turnieren für sehende und blinde
Schachspieler. Wenn mich die Erinnerung nicht trügt war es 1985 als
ich Ewald zur Nordrhein-Westfälischen Blindenschachmeisterschaft in
Valbert begleitete. Obwohl dies ein offizielles Qualifikations-Turnier
zur deutschen Blindenmeisterschaft war, gestattete man mir
großzügigerweise die Teilnahme. Natürlich konnte ich mich nicht
qualifizieren und mein Ergebnis blieb inoffiziell, aber die Ergebnisse
meiner Gegner gegen mich zählten. Während des Turniers wurde Ludwigs
Name oft erwähnt. Es gab da keine Frage - er war der Topfavorit für den
deutschen Meistertitel. Aber nun ist es Zeit Ludwig Zier zu Worte
kommen zu lassen.

Interview

Frage: Bitte erzählen Sie uns etwas über sich.

Antwort: Ich bin 47 Jahre alt, verheiratet, habe 2 Kinder (11
und 7 Jahre) und bin seit meinem 9. Lebensjahr blind. Ich wohne in
Wunsiedel, Fichtelgebirge. Dies ist eine Kleinstadt mit ca. 10.000
Einwohnern und liegt in Nordbayern (ca. 50 km von Bayreuth entfernt).
Beruflich war ich über 25 Jahre beim Landratsamt Wunsiedel
beschäftigt. Seit dem letzten Jahr bin ich aus gesundheitlichen
Gründen erwerbsunfähig geworden.

Frage: Sie sind eine Berühmtheit für blinde Schachspieler in
Deutschland. Können Sie uns ein wenig dazu sagen?

Antwort: Schach habe ich im Alter von 14 Jahren begonnen. Von 1981 bis
1987 gewann ich in ununterbrochener Reihenfolge die Deutsche
Blindenschachmeisterschaft, insgesamt viermal (jeweils ungeschlagen).
1982 belegte ich bei der Blinden-einzelweltmeisterschaft in Hastings
(England) den 4. Platz. 1988 belegte ich mit der deutschen Mannschaft
bei der Blindenschacholympiade in Ungarn am 1. Brett spielend den 3.
Platz. Seit Ende 1990 spiele ich nicht mehr im Blindenschach (vor
allem aus gesundheitlichen Gründen).

Frage: Sie haben ebenfalls in vielen "normalen" Nahschachturnieren
teilgenommen ... Ziemlich erfolgreich, möchte ich anmerken.

Antwort: Ich habe 4-mal an den deutschen Meisterschaften der Sehenden
teilgenommen (fast immer 4,5 aus 11). Ich war Zweiter beim Open in
Limoges (Frankreich); Zweiter beim Open in Bergamo (Italien); 5.-7.
Platz bei Eloturnier in München; 7. Platz bei Open Bad Ragaz
(Schweiz). Teilnahme am OHRA-Großmeisterturnier B in Amsterdam und
Teilnahme am IBM-Einladungsturnier in Wien (Sieger Karpow). Außerdem
spielte ich insgesamt 5 Jahre in der 2. Bundesliga.

Frage: Und dann ist da noch das Fernschach.

Antwort: Fernschach spiele ich seit ca. 27 Jahren. Mit etwas mehr
Aufmerksamkeit aber erst seit 1991. Ich konnte hier das EU/M/GT/368
mit 12 aus 14 gewinnen. Das MN/2 konnte ich mit 8 aus 10 gewinnen (1.
IM-Norm). Im MN/75 erreichte ich 7 aus 10 (2. IM-Norm und Titel). Zur
Zeit spiele ich das Semifinale zur 26. FSWM. Ich bedauere die
Entwicklung im Fernschach, da starke PC-Programme zu sehr Einfluss
genommen haben. Ich selbst kann solche Programme nur in sehr
begrenztem Umfang benutzen, da ein Blinder große Probleme mit der
grafischen Benutzeroberfläche hat.

Frage: Sie sind ebenfalls aktiv im Schulschach.

Antwort: Seit letztem Jahr wird bei uns aufgrund meiner Initiative zum
ersten Mal Schach an
der Grundschule in Wunsiedel angeboten (Klassen 1 bis 4). Ich bin für
den inhaltlichen Ablauf verantwortlich. Um die Aufsicht zu übernehmen
und mir die Züge auf dem Demonstrationsbrett auszuführen, steht mir
ein Lehrer zur Seite. Den Kurs besuchten 20 Kinder (6 bis 10 Jahre).
In diesem Schuljahr werden ein Kurs für Fortgeschrittene und ein Kurs
für Anfänger angeboten.

Anmerkung von Junior Tay: Weitere Einzelheiten findet man im Artikel
"Schulschach in Wunsiedel" bei

http://www.schachbezirk-ofr.de/jugend/schulschach2002/wunsiedel/

Auch in diesem Schuljahr werde ich einen Kurs in unserem Gymnasium
abhalten, da hier das Schachleben völlig zum Erliegen gekommen ist.

Frage: Welche Partien halten Sie für Ihre besten im Nah-
beziehungsweise Fernschach?

Antwort: Man kann sicher die eine oder andere Partie veröffentlichen, aber
eine herausragende Partie gibt es eigentlich nicht. An eine Partie aus
meiner Jugendzeit erinnere ich
mich sehr gerne, da ich zu diesem Zeitpunkt gerade erst 2 1/2 Jahre
spielen konnte.

Nachfolgend die Partie:

Zier L. - Heidrich M. (1972)
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4.La4 Sf6 5. 0-0 Sxe4 6. d4 b5 7. Lb3 d5 8.
dxe5 Le6 9. a4 Sa5 10. La2 c5 11. Sbd2 Sxd2 12. Lxd2 Sc6 13. Lg5 Dd7  14.
axb5

Von hieran konnte ich die Partie bis zum Ende berechnen.

14... axb5 15. Lxd5 Txa1 16. Lxc6 Txd1 17. Txd1 f5 18. Lxd7+ Lxd7 19. e6
Lxe6 20. Td8+ Kf7 21. Se5+ Kg8 22. Le7
1-0

Frage: Gefällt Ihnen Fernschach besser als Nahschach? Oder ist es
anders herum? Was ist der Grund?

Antwort: Prinzipiell gefällt mir Nahschach etwas besser. Um im Nahschach
einigermaßen mitspielen zu können, muss man körperlich gesund sein. Nachdem
dies bei mir nicht mehr der Fall ist, muss ich das Nahschach sehr stark
reduzieren. Im Fernschach bedauere ich den zu starken Einfluss von
Computern. Hier spiegelt sich das wahre Schachverständnis oft nicht richtig
wieder.

Frage: Ist, beziehungsweise war, Ihr Eröffnungsrepetoire und Ihre
Herangehensweise an eine Partie unterschiedlich in Nah- und
Fernschach?

Antwort: Mein Eröffnungsrepertoire ist einigermaßen breit gefächert. In
erster Linie sind die Eröffnungsvarianten im Fernschach auf das
Nahschachrepertoire ausgerichtet.

Frage: Besitzen Sie viel Schachliteratur? Muß Ihrer Meinung nach ein
Fernschachspieler gut belesen sein?

Antwort: Ich besitze weit über 500 Schachbücher. Die Bücher sind alle in
Schwarzschrift verfasst und ich bin wegen meiner Blindheit auf ständige
Vorlesekräfte angewiesen. Dies bringt natürlich mit sich, dass ich hier nur
sehr begrenzt mit diesen Büchern arbeiten kann. In der heutigen Zeit der
Datenbanken muss ein Fernschachspieler nicht mehr so belesen sein, wie es
vor ca. 15 Jahren noch der Fall war.

Frage: Was sind Ihre schachlichen Ziele?

Antwort: Im Nahschach werde ich nur noch mit meinen beiden Kindern ein
Turnier pro Jahr in verschiedenen Kategorien spielen. Im Fernschach muss ich
sehen, ob ich den blindheitsbedingten Nachteil der PC-Nutzung einigermaßen
kompensieren kann. Falls dies nicht gelingt, habe ich in diesem Bereich
keine besonderen Ziele. Mein Hauptaugenmerk werde ich vor allem auf das
Trainieren von Kindern, vor allem in Schulen, legen.

Frage: Was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit als Schachlehrer?

Antwort: Mit Kindern zu arbeiten, ist für mich schachlich gesehen zur Zeit
das Wichtigste. Meine Kurse an der Grundschule und am Gymnasium besuchen zur
Zeit über 60 Kinder.

Frage: Welchen Rat haben Sie für diejenigen, die sich ernsthaft mit
dem Schachspiel beschäftigen möchten?

Antwort: Sich möglichst in vielen Teilbereichen des Schachs zu informieren
und sich "umzusehen".
Unerlässlich ist das Studium alter Meister. Standardwerke wie Nimzowitsch
"Mein System" oder Kmoch "Die Kunst der Bauernführung" oder klassische
Turnierbücher sollten zur Ausbildung eines jeden Schachspielers gehören.

Frage: Welchen Rat haben Sie für jemanden, der den ICCF-IM Titel
anstrebt?

Antwort: Nicht mehr als ein Turnier gleichzeitig spielen und versuchen,
möglichst selbständige Analysen zu erstellen.

Herr Zier, haben Sie vielen Dank für dieses Interview.
 

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