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Info-Mail Schach Nr. 256


Hallo Schachfreunde,

es gibt wieder Neues aus dem Blindenschach zu berichten. Zunächst findet Ihr
eine Kurzmeldung in dieser Info-Mail. Es schließt sich das Ergebnis vom
Regionalturnier Ost an und zum Abschluß gibt es - trotz der Hitze - noch
viel Lesestoff.

Viel Spaß wünscht
Toni aus Augsburg

In der Nacht vom Samstag auf den Sonntag fand zum zweiten Mal das
Nachtschachturnier in Frankfurt statt. 24 Spieler gingen an den Start und
spielten in 9 Runden den Sieger aus. Die Bedenkzeit betrug eine halbe Stunde
je Spieler und Partie. Am frühen Sonntag Morgen stand dann der Sieger fest.

Mit 8,0 Punkten siegte Jürgen Pohlers aus Leipzig vor Heinz Engl aus München
(7,0 Punkte). Die weiteren Plätze belegten Helmut Räuschel, Harald Ettl und
Rudolf Sand (alle Nürnberg).

                        DBSB - Regionalturnier Ost 2003

                                  in Kienbaum
                           25.04.2003 bis 29.04.2003
                                 Rundenturnier

  1. Müller Manfred.........  4,0   6,00 .1111
  2. Dobierzin Olaf.........  2,5   2,75 0.=11
  3. Dethloff Karl-Friedrich  1,5   2,25 0=.==
  4. Zander Klaus...........  1,5   1,25 00=.1
  5. Rakow Hartmut..........  0,5   0,75 00=0.

Peter Leko eilt seit einem Jahr von Erfolg zu Erfolg. Im März
belegte der 23-jährige Ungar aus Szeged sogar in Linares (Spanien) den
ersten Platz vor den drei in der Weltrangliste führenden Wladimir
Kramnik, Garri Kasparow und Viswanathan Anand. Beim Schnell- und
Blindschachturnier in Monaco landete Leko nur hinter Anand, aber
erneut vor dem Rest der versammelten Weltelite. Hartmut Metz sprach
während dieses Turniers mit dem einst mit 14 Jahren jüngsten
Großmeister aller Zeiten über seinen Leistungssprung, die derzeitige
Hackordnung in der Weltspitze und sein anstehendes WM-Match gegen
Kramnik.

Herr Leko, wer ist der derzeit weltbeste Schachspieler?

Ich denke, Linares hat gezeigt, dass derzeit im Grunde genommen keiner
deutlich vorne liegt. Die Weltmeisterschafts-Duelle zwischen mir und
"Wlad" sowie Kasparow und "Pono" können darüber mehr Aufschluss geben.
Und natürlich darf man Vishy nicht vergessen, der auch ein
fantastischer Spieler ist.

Frage: In Monaco belegten Sie Rang zwei hinter Anand, zuvor haben Sie
in Linares, im Wimbledon des Schachs, gewonnen. Ihr bisher größter
Erfolg?

Ich denke schon. Fürs eigene Prestige war der Erfolg unglaublich
wichtig. Zum ersten Mal schlug ich dabei Vishy, zum anderen landete
ich erstmals vor Kasparow - und ich hoffe, dass ich mich langsam daran
gewöhne (lacht). Natürlich ist Dortmund nicht zu vergessen. Das
Qualifikationsturnier war im Vorjahr insofern für mich bedeutsamer als
Linares, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, jetzt um die WM-Krone
zu kämpfen. Beide Wettbewerbe gewonnen zu haben, ist auch deshalb sehr
schön, weil alle Spieler, die in Dortmund dabei waren, nicht in
Linares mitspielten. So bin ich prinzipiell vor allen gelandet!

Sehen Sie sich als alleiniger Sieger oder geteilter Sieger mit
Wladimir Kramnik? Letztlich wurde ja als Feinwertung bei
Punktgleichheit die Zahl der Partiegewinne herangezogen.

Für mich sind wir geteilter Sieger, das ist ganz klar. Wir besaßen
beide dieselbe Punktzahl. Dass die Tradition in Linares, mit der
Entscheidung durch die mehr gewonnenen Partien, für mich sprach, ist
trotzdem erfreulich. Ich meine auch, dass unser beider Spielstil in
Linares darauf hinwies, dass wir uns zielstrebig auf den WM-Kampf
vorbereiten. "Wlad" spielte ganz schön solide, aber auch ganz schön
kräftig: Wenn er eine Chance hatte, hat er sie auch genutzt. Er kam in
keiner Partie in Verlustgefahr und überstand das Turnier ungeschlagen.
Ich als Herausforderer muss sehr aggressiv spielen, weil mir in dem
Match kein Unentschieden reicht. Deshalb strebte ich Verwicklungen an
und versuchte große Spannung aufrechtzuerhalten. Ich kämpfte alle
Partien aus, denn nur so hat man Chancen, die Krone zu erringen.

Bei der Siegerehrung rastete Garri Kasparow aus, weil seine Niederlage
gegen Teimur Radjabow den Schönheitspreis erhielt. Einige Großmeister
haben sich darüber königlich amüsiert. Wie sehen Sie den erneuten
cholerischen Anfall des Weltranglistenersten?

Ich hatte eine besondere Rolle in dieser Affäre inne: Ich saß neben
Kasparow. Als er von der Ehrung Radjabows hörte, kündigte er sofort
an, dass er etwas zu unternehmen gedenke. Kaum ausgesprochen, rannte
er auch schon los. Für mich war das daher kein Schock mehr. Ich kann
ihn ein bisschen verstehen. Die Organisatoren machten einen kleinen
Fehler, weil die Wahl durch die Journalisten etwas unprofessionell
war. Ich glaube, die Journalisten haben sich schon im Vorfeld auf
einen möglichen Skandal gefreut - und den haben sie auch bekommen.
Letztlich tat der Vorfall niemandem gut. Auch Radjabow nicht. Er hatte
mit der Sache nichts zu tun, war dann peinlich berührt und wusste gar
nicht mehr, wie er reagieren soll. Die Partie war sicher die
schockierendste des Turniers - die beste in Linares war sie aber auf
gar keinen Fall.

Sie hätten ja auch ausfällig werden können, beispielsweise weil Ihr
Weiß-Sieg über Radjabow nicht den Schönheitspreis erhielt. Die fand
ich deutlich besser und brachte sie deshalb in meiner Schachspalte.

Ja, natürlich. Das war eine klare, gut herausgespielte Sache und kein
Springerverlust wie in Kasparows Partie. Sicher wollten die sechs der
20 Journalisten, die für die Begegnung stimmten, die Sensation
belohnen. Indes ist ein Sieg über Kasparow schon Belohnung genug.

Sie erwogen jedoch nicht, gleich mit Kasparow nach vorne zu springen
und für Terror zu sorgen?

(Leko grinst): Nein, für mich war schließlich der Turniersieg schon
das große Highlight. Zudem gewann ich ja einen zweiten Preis als der
kämpferischste Spieler.

Steht Kasparow zu sehr unter Druck, weil er spürt, dass ein
Wachwechsel ansteht? Sie sagen selbst, dass er derzeit nicht über den
anderen steht. Oder war es die bloße Enttäuschung, seine
Turnier-Erfolgsserie verloren zu haben?

Ich fühlte bereits vor dem Turnier eine sehr angespannte Atmosphäre,
das schien greifbar. Vier Spieler kamen nach Linares, um zu gewinnen.
Für mich gab es keinen Favoriten. Ich wusste nach einem halben Jahr
Pause vom klassischen Schach nicht genau, ob es gut losgeht. Ich war
jedoch ziemlich gut vorbereitet, motiviert und kämpferisch
eingestellt. Es ist heutzutage sehr schwer im Spitzenschach, sein
Bestes zu bringen. Kasparow besaß immer einen besonderen Status. Ich
erinnere mich an das Match Russland gegen den Rest der Welt im Vorjahr
in Moskau. Dort spielte er schlechter als gewohnt, sofort hieß es: Er
sei nicht mehr der Alte. Danach gewann er bei der Olympiade in Bled
fast alle Partien - anschließend spekulierte jeder, er sei stärker
denn je ... Jetzt landet er nicht vorne, schon folgt wieder das
Gerede, mit 40 könne er eben nicht mehr mithalten. Das ist nicht in
Ordnung. Auch ein Kasparow kann nicht immer seine Bestform bringen,
auch er ist nur ein Mensch. Zudem wird die Konkurrenz stärker und
stärker.

Sie verteidigen ihn, obwohl er sich in einer Partie mit Ihnen nicht
ganz korrekt benommen hat.

Ich habe für ihn Verständnis. Er war hochmotiviert, hat gekämpft - nur
hat es eben nicht geklappt. In unserer ersten Begegnung gab es einen
kleinen Skandal. Die Spannung darin war sehr groß, die Partie ging hin
und her. Zuerst überspielte ich ihn, in dramatischer Zeitnot ließ ich
jedoch den Gewinn aus. Anschließend besaß er gute Chancen. Nach sieben
Stunden hatten wir beide noch etwa beide 30 Sekunden auf der Uhr. Ich
reklamierte dann Stellungswiederholung, die zum vierten Mal auf dem
Brett war. Doch weit und breit befand sich kein Schiedsrichter, der
einschritt. Keiner wollte sich bei uns blicken lassen. Deshalb musste
ich immer lauter und lauter reklamieren, obwohl es bereits die vierte
Stellungswiederholung war. Die Schiris kamen noch immer nicht.
Plötzlich wurde Garri böse und wollte wissen, warum ich immer lauter
werde. Ich erklärte ihm, dass ich das nicht wegen ihm sagte, sondern
zu den Schiedsrichtern. Sie kamen nicht, während wir miteinander
schimpften. Erst nach fünf Minuten rückten die Unparteiischen an und
erkundigten sich, was überhaupt los sei ... Ich verwies auf die
vierfache Stellungswiederholung, und wir unterschrieben die
Partieformulare. Eine halbe Stunde später haben wir uns bei einem
Spaziergang die Hand geschüttelt und nur noch über die Situation
gelacht. In so einem Fall liegen eben die Nerven blank. Schiedsrichter
braucht man wirklich sehr selten - aber wenn man sie braucht, sind sie
oft nicht da.

Gegen Wladimir Kramnik und Viswanathan Anand remisieren Sie
regelmäßig. Diesmal verloren Sie erst gegen den Inder, dann schlugen
sie ihn in einem vermeintlich einfachen Turmendspiel. Hätten Sie
gedacht, dass Sie ausgerechnet in diesem Remisendspiel Ihren ersten
Erfolg über Anand feiern werden?

Seit sieben Jahren, seit 1996, remisierten Vishy und ich immer nur.
Die erste Partie gegen ihn hatte ich in der Eröffnung verschenkt. Nach
zehn Zügen stand ich total auf Verlust und musste unglaublich hart
kämpfen, um wenigstens nicht in 20 oder 25 Zügen unterzugehen. Dass
ich den Verlust bis zum 72. Zug hinauszögern konnte, war schon ein
Erfolg. Die Niederlage und das Ende unserer Remisserie motivierten
mich enorm für die zweite Begegnung. Ich wollte unbedingt
zurückschlagen. Deshalb war die zweite Partie gegen ihn die wichtigste
für mich. Zuvor hatte ich überdies gegen Vallejo eine Schlappe
erlitten, weil ich ein zu hohes Risiko eingegangen war. Ich hatte das
Turnier an diesem Tag schon entscheiden wollen, was in die Hose ging.
So blieb mir keine andere Wahl, als gegen Vishy zu gewinnen. Ich
setzte ihn von Anfang an unter Druck. In der Eröffnung brachte ich
eine starke Neuerung und merkte, dass er überrascht war und nicht so
schnell wie gewohnt zog. Er verbrauchte ganz schön viel Zeit, was mir
weiteres Selbstvertrauen einflößte. Er verteidigte sich zunächst
präzise. Aber wenn man nonstop die besten Züge machen muss, ist es
nicht leicht, das ewig durchzuhalten. Plötzlich landete Vishy in
diesem Turmendspiel, das theoretisch remis ist. Die letzten ein, zwei
Jahre bewiesen jedoch, dass dieses Endspiel selbst auf Topniveau
häufig gewonnen wird. Beispielsweise schlug Peter Swidler Wladimir
Akopjan, zuvor hatte sich Akopjan selbst gegen Kiril Georgiew
durchgesetzt und Rustem Dautov gewinnt dieses Endspiel ständig. Ich
ging deshalb in das Endspiel, weil ich um die sehr guten praktischen
Chancen wusste. Die Verteidigung fällt einem weit schwerer. Hinzu
kommt ein psychologisches Moment: Schwarz verteidigt sich die ganze
Zeit und entspannt, wenn er in dieses theoretische Remisendspiel
kommt. Doch nach ein, zwei Ungenauigkeiten ist es manchmal zu spät zum
Aufwachen. Ich denke, genau das passierte. Nachdem Vishy h5 versäumte
und mich zu g4 kommen ließ, kletterten meine praktischen Chancen
enorm.

Gerade an dem Versäumnis h5 entzündete sich die Kritik.

Dafür fehlte ihm auch die Zeit. Spielt er h5, kommt er mit seinem Turm
nicht hinter meinen Bauern. Jeder Zug hatte einen Haken. Ohne den Turm
hinter meinem a-Bauern hätte es auch zum Remis reichen können, es ist
aber auch hier alles andere als leicht.

Hätten Sie sich richtig verteidigt?

(Leko schmunzelt): Schwer zu sagen. Man kann viel behaupten, von wegen
"ich würde das leichter verteidigen". Letztlich ist es sehr schwer.

Bis zum zweiten Platz in Essen im Mai 2002 war die Schachszene
geneigt, das Wort Remis in Leko umzubenennen. Seit dem Turnier läuft
es blendend und Sie dürften auf Platz vier der Weltrangliste
vorrücken. Wodurch vollzog sich der Wandel?

Sehr viele Leute haben vieles nicht verstanden. Vor zwei Jahren zog
Arschak Petrosjan nach Szeged um, das war enorm wichtig. Wir fingen
an, täglich sechs bis acht Stunden zu arbeiten. Der Wandel durch
meinen festen Haupttrainer benötigte etwas Zeit. 2001 versuchte ich
wirklich alles, aber es klappte noch nicht. Unserem Kreis war dennoch
klar, dass irgendwann der Durchbruch kommt. In den Trainingspartien
erkannte man den gewaltigen Unterschied. Eine ganz wichtige Rolle
spielte die WM in Moskau. Mein frühes Aus war eine herbe Enttäuschung.
Nach diesem Schock wussten wir aber auch: Ab jetzt kann's nur noch
aufwärts gehen, schlechter wird's auf keinen Fall mehr. Ich fing an,
sehr viel zu spielen und kam immer besser in Rhythmus. Bereits in
Cannes 2002 begann es, ich bekam fast jeden Tag den Schönheitspreis
für mein Spiel. In Monaco legte ich eine Serie von 7,5/8 gegen
absolute Topleute hin, danach gewann ich in Dubai und beendete Essen
mit +5. Danach setzte ich mich in Dortmund durch, was für mich - im
Gegensatz zu außenstehenden Beobachtern - keine Überraschung mehr
darstellte.

Sie galten aber auch vor 2001 nicht gerade als fauler Spieler und
feilten selbst viel am eigenen Schach.

Schon. Ich hatte früher eigentlich weniger das Problem mit dem
Einsatz, sondern mit dem Endergebnis. Die vielen Remis waren so eine
Art mentaler Block. Man gewöhnt sich automatisch dran, wenn man
ständig remisiert und damit identifiziert wird. Das zu durchbrechen,
war schwer, aber ich habe es geschafft. Und nun spricht niemand mehr
über diese Remis. Beispielsweise dachte auch jeder, Schirow sei mein
Angstgegner. Ich hatte anfänglich eine schreckliche Bilanz gegen ihn.
Doch im Halbfinale in Dortmund traf ich genau auf ihn. Als ich jung
war, zwischen 1994 und 1996, verlor ich sehr, sehr oft gegen Schirow.
Vielleicht habe ich -6 oder -8 gegen ihn, ich weiß es gar nicht genau.
Seitdem glich sich die Situation aus. Seit Dortmund holte ich gegen
ihn 4,5/5, das sieht schon ganz anders aus.

Ihr Schwiegervater Arschak Petrosjan hat sich auch schon als
Nationaltrainer von Armenien Meriten verdient.

Bei der Olympiade in Bled war es eine angenehme Erfahrung, dass wir
mit Ungarn auf Platz zwei lagen und er mit seinem armenischen Team als
Dritter eine zweite Medaille mit nach Hause brachte.

Für wen ist er denn, wenn Ungarn auf Armenien trifft? Für seine
Mannschaft oder seinen Schwiegersohn?

In Bled hatten wir das Glück, dass ein 2:2 gut genug für beide
Mannschaften war, um unsere Plätze zu verteidigen.

Und wenn's wirklich hart auf hart käme?

Dann müssen wir spielen, schließlich sind wir Profis. In diesem Fall
würde er natürlich den armenischen Spitzenspieler nicht gegen mich
vorbereiten, das ist ganz klar. Ansonsten muss man kämpfen, und der
Beste gewinnt.

Das Resultat von Linares dürfte Wasser auf die Mühlen Ihres Managers
Carsten Hensel, der auch Wladimir Kramnik betreut, gewesen sein. Die
beiden WM-Finalisten des Einstein-Zyklusses auf Platz eins und zwei,
die Endspielteilnehmer der FIDE-WM mit Kasparow und Ruslan Ponomarjow
auf den Plätzen drei und fünf.

Natürlich ist das für uns sehr wichtig. Mich interessiert aber nicht,
wie Kasparow - Ponomarjow endet. Ich konzentriere mich auf mein Match.
Ich stehe vor einer schweren Aufgabe. Kramnik ist ein sehr starker
Weltmeister. Um ihn zu schlagen, benötige ich all meine Kräfte. Ich
kann mir nicht den Luxus erlauben, über Kasparow - Ponomarjow Urteile
zu fällen. Durch die zwei ersten Plätze wuchs das Interesse an unserem
WM-Match, es ist das absolute Highlight. Ich erwarte auch ein
spannendes Duell.

Wie sieht es um die Vermarktung der WM aus? Bahrain kommt wegen des
Irak-Kriegs nicht mehr als Ausrichter in Betracht.

In diesen Tagen soll die Entscheidung fallen und bis Mitte April die
erste Pressekonferenz stattfinden. Für uns Spieler ist es auch ganz
wichtig, dass wir exakt planen können, wo und wann es losgeht. Wenn
wir in der Luft hängen, ist die Vorbereitung einfach komplizierter.

Wann soll die WM beginnen? Anfang Juni war im Gespräch.

Ja, genau. Wir können davon ausgehen, dass wir Anfang Juni starten.

Welche Chancen rechnen Sie sich gegen Kramnik aus?

Selbstverständlich will ich gewinnen. Die Chancen sind meines
Erachtens aber verteilt, 50:50. Wir sind füreinander unangenehme
Gegner. Mein Score gegen "Wlad" ist sehr gut. Ich bin wohl der einzige
Spieler auf der Welt, der im klassischen Schach eine positive Bilanz
gegen ihn aufweist. Im Schnellschach behält er jedoch die Oberhand. Es
ist also ziemlich ausgeglichen. Natürlich hängt auch viel von der Form
in den 12, 14 oder 16 Partien ab. Die Zahl wird erst festgelegt, wenn
der Austragungsort gefunden ist. Auf jeden Fall erwarte ich ein sehr
knappes Match, das spannend bis zum Ende bleibt.

Ist es beim Melody Amber ein gewaltiger Unterschied,
Blind-Schnellschach oder normales Schnellschach zu spielen?

Am Anfang existiert kaum einer. In der Blindpartie bekommen wir hier
20 Sekunden pro Zug dazu auf die 25 Minuten Grundbedenkzeit, im
Schnellschach nur zehn. Große Unterschiede kommen erst zum Tragen,
wenn man unter die Fünf-Minuten-Hürde gerät. Dann schießt einem das
Adrenalin ins Blut. Nun im Blindspiel richtig die Partie zu verfolgen
und sehr schnelle Entscheidungen zu treffen, ist natürlich deutlich
schwieriger. Im Blindspiel kannst du nicht einfach was aus dem Bauch
heraus ziehen wie im Blitz, sondern du musst alles richtig abwägen.
Das raubt Zeit. Somit sinkt erst in dieser Zeitnotphase die Qualität.
Manchmal ist aber auch das Gegenteil der Fall! Weil man sehr
konzentriert ist, sieht man in nur wenigen Sekunden unglaubliche
praktische Möglichkeiten.

Kasparow hält Blindschach für schädlich, die Furcht teilen Sie nicht?
Viele Ihrer Kollegen sitzen sowieso oft am Brett und stieren in die
Luft bei ihren Denkprozessen.

Ich freue mich, dass es dieses sehr schöne Turnier gibt. Die
Schachwelt sieht sicher gerne einmal im Jahr, wie die Großmeister
blind spielen. Ich persönlich nehme das Turnier nicht zu ernst,
schließlich geht es um keine Weltranglistenpunkte. Allerdings ist das
Melody Amber auch ein sehr prestigeträchtiger Wettbewerb, bei dem
gewisser Wert auf ein gutes Abschneiden gelegt wird. Aber es ist nicht
so, dass ich mich nach einer Blindpartie wie erschlagen fühle. Das
kann ich nicht behaupten. Die Blindpartie strengt mich nicht mehr als
eine normale Partie an.

Vom 14. bis 17. August spielen Sie bei den Chess Classic Mainz die WM
im Chess960 aus, wie Organisator Hans-Walter Schmitt den Wettkampf
gegen Peter Swidler tituliert. Wie bewerten Sie diese Art Schach, bei
der die Grundstellung vor der Partie ausgelost wird?

Zunächst ist der Name Chess960 neu für mich. Bisher kannte ich es
unter Fischer Random Chess. Da ich alle Arten von Schach mag, mag ich
auch diese. Es ist mal etwas anderes. Das Duell mit Swidler verspricht
einiges. Er zählt auch zur absoluten Weltspitze, selbst wenn er
momentan "nur" in den Top 15 oder 20 steht. Er ist ein sehr, sehr
guter Spieler mit großer Erfahrung. Im Chess960 kann alles passieren.
Die Partien sind immer voller Leben.

Vor zwei Jahren gewannen Sie in Mainz gegen Michael Adams ganz knapp
im Fischer Random mit 4,5:3,5. Damals ging es heiß her.

Die ersten zwei, drei Partien sind verwirrend und benötigt man, um
reinzufinden. Gegen Ende des Matchs steigert man sich aber und spielt
zunehmend besser. Ich denke, dass man auch dieses Jahr wieder
spannendes Chess960 zu sehen bekommt.

Hat Chess960 Zukunft? Hans-Walter Schmitt will ja sogar in Mainz einen
Weltverband gründen.

Das hängt von den Organisatoren ab. Wenn einige von ihnen bereit sind,
dafür etwas zu tun, warum nicht? Ich verstehe aber auch die Spieler,
die sagen: Wozu brauchen wir dieses Chess960? Schach ist noch nicht
tot, es entwickeln sich noch immer neue Eröffnungen. Das trifft ebenso
zu. Ich sehe mich als Botschafter des Chess960, aber ich sage deswegen
nicht, man soll das klassische Schach einfach vergessen. Das auf
keinen Fall. Ich finde es jedoch vollkommen richtig, Interessierten
diese Abwechslung mit einem Turnier zu bieten.

Wenn Sie auch Swidler schlagen, könnten Sie erster
"Doppel-Weltmeister" sein ...

(Leko lacht): Darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Zuerst
konzentriere ich mich auf "Wlad". Wenn ich ihn geschlagen habe, peile
ich den Doppel-Titel an.

Quelle: Rochade Kuppenheim
http://www.rochadekuppenheim.de/
 

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