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Info-Mail Schach Nr. 273


Hallo Schachfreunde,
Viorel Bologan aus Moldawien heißt der Sieger des Dortmunder
Großmeisterturniers - souverän und verdient vor den "Etablierten".
Wir bringen heute aktuell nur den Endstand und werden in den
nächsten Tagen wahrscheinlich Lesestoff zum überraschenden
Verlauf des Turniers liefern.
Erinnert sei auch an den Abschlußbericht im WDR-Fernsehen in der Nacht von
Montag (11.08.) auf Dienstag (12.08.) von 0:35 bis 1:20 Uhr.
Schach im Fernsehen ist in Deutschland eng verbunden mit dem Namen Dr.
Helmut Pfleger, der am 06.08. seinen 60. Geburtstag feierte. Hartmut
Metz würdigt den Jubilar in einem recht lockeren Bericht in der
Frankfurter Rundschau.
Viel Spaß beim Lesen
wünscht Herbert Lang
Übrigens - die Mediziner raten bei den sommerlichen Temperaturen: Nicht
überanstrengen und daher beim Lesen des umfangreichen Artikels eventuell
Pausen einlegen!

Endstand - Dortmunder Großmeisterturnier 2003
(31.07. - 10.08.2003)
1 Viorel Bologan          MDA  6,5 aus 10
2 Wladimir Kramnik     RUS   5,5
3 Viswanathan Anand   IND   5,5
4 Teimour Radjabow    AZE   5,0
5 Peter Leko                HUN  4,0
6 Arkadi Naiditsch       GER   3,5

Großmeister des Fernsehens
Helmut Pfleger moderiert seit 25 Jahren einen langsamen Sport:
SCHACH
Von Hartmut Metz
Ein Skorpion kommt an den Nil und will ans andere Ufer. Daher bittet er das
Nilpferd, ihn doch auf die andere Seite zu bringen. Das Nilpferd sagt zum
Skorpion: "So dumm werde ich nicht sein. Dann stichst du mich, und ich bin
tot." "Aber nein", entgegnet der Skorpion, "das wäre doch dumm. Dann würde
ich ja auch auf dem Fluss mit untergehen." Das überzeugt das Nilpferd; es
nimmt den Skorpion auf den Rücken. Und, als sie in der Mitte des Flusses
sind, sticht der Skorpion doch zu. Das Nilpferd ganz entsetzt: "Was hast du
getan ? Jetzt gehen wir beide unter." Der Skorpion sagt: "Ja, ich weiß -
aber ich kann nicht wider meiner Natur !"

Helmut Pfleger verliert sich gerne in derlei Geschichten. Auch wenn sie auf
den ersten Blick mit seinem Metier wenig zu tun haben. "Ich halte das für
eine weise Geschichte", sagt der Fernsehmoderator: "Sie gibt den Stil
mancher Schachspieler wieder: Sie schreiben sich Besonnenheit auf die Fahne
und wollen vernünftig spielen - bis der Gaul mit ihnen durchgeht und sie wie
der Skorpion nicht anders können."

Mancher Hobbyspieler vergöttert Pfleger ob solch leicht verständlicher Kost.
Das bringt ihnen das Geschehen auf den 64 Feldern näher, macht es ein klein
wenig verständlicher. Viele verpassen keine Sendung des Großmeisters - und
versuchen seit 22 Jahren angestrengt, aber oft vergeblich, seine
wöchentliche Schachaufgabe in der Zeit zu lösen.

Bei einigen seiner Großmeister-Kollegen ist der Münchner indes wenig
gelitten. "Märchenonkel" nennt ihn manch einer verächtlich. Das Etikett
missfällt Pfleger. "Es hat etwas Herablassendes, Despektierliches. Ich
versuche, den Zuschauern das Schach mit Metaphern und Allegorien näher zu
bringen, ohne mich auf den rein technischen Part zu beschränken. Das mache
ich, weil man sonst viele einfach abschrecken würde", erklärt er. "Für viele
Schachspieler, besonders die guten, zählen mehr die langen Analysen. Aber
für die mache ich nicht die Sendungen, für die schreibe ich nicht meine
Artikel, das ist ganz klar. Die Mehrzahl, die große Mehrzahl der Zuschauer
oder Leser sind relativ unbedarft. An den wenigen, die wirklich sehr gut
sind, mögen meine Beiträge vorbeigehen."

Den Psychotherapeuten "schmerzen natürlich die Anfeindungen". Gleichzeitig
stimmen sie die ehemalige deutsche Nummer zwei "nachdenklich: Ich
hinterfrage mich, ob ich nicht nüchterner oder sachlicher kommentieren
sollte". Aber er kann sich auch gelassen geben: Seine lautesten Kritiker
treibe "der Neid, der Futterneid" um. Vergeblich versuchen sie seit 25
Jahren, ihm seine Sendungen im Westdeutschen Rundfunk oder die Schachspalten
in der Zeit und der Welt am Sonntag oder seine Rolle als Kommentator bei
großen Turnieren abspenstig zu machen.

Profi-Schach ist ein hartes Gewerbe - in dem nur wenige Millionäre werden.
Der große Rest lebt von der Hand in den Mund. Von Open zu Open ziehen die
Berufsspieler. Mehr als freie Kost und Logis gibt es selten. Wenn's gut
läuft, gewinnen sie nach neun Tagen 1 500 oder 2 000 Euro. Unterläuft dem
Großmeister nur ein Fehler und er verliert deswegen die Partie, reicht das
Preisgeld nicht einmal mehr für die monatliche Miete zu Hause.

Pfleger hat sich die Tantalusqualen, wie er es gewiss nennen würde, nie
auferlegt. Nicht, weil der von 1963 bis 1985 zu den Leistungsträgern des
Nationalteams zählende Franke schlauer als seine Mannschaftskollegen war.
"Früher lief bei mir so viel unbewusst und neurotisch ab, vieles ging
einfach an mir vorbei. Es spricht also gar nichts dafür, dass ich vernünftig
war. Es war mir immer irgendwie klar, dass ich einen anständigen Beruf wie
die Medizin ergreife. Dass sich mir nie die Frage nach dem Profitum stellte,
ist also eher schon wieder bedenklich, obwohl mir Schach sehr viel
bedeutete. Ich nahm leidenschaftlich gerne an Turnieren teil", analysiert
sich der Psychotherapeut selbst. Pfleger ist mit dem Versäumnis gut
gefahren. Seine Praxis betreibt er en passant, seine Bücher mit den
gesammelten Zeit-Kolumnen sind für Schachverhältnisse Bestseller.

Derzeit berichtet Pfleger über die Dortmunder Schachtage. Mitte August steht
dann der jährliche TV-Höhepunkt für deutsche Schachspieler an: Schach der
Großmeister. Auch bei der 21. Auflage heißt sein kongenialer Partner
Vlastimil Hort. Der einstige Weltklassespieler aus Köln könnte Pflegers
Zwilling sein: Er ist fast genauso alt - und ebenfalls voller Anekdoten. Für
zusätzliche Erheiterung sorgt sein stimmlicher Singsang. Der ehemalige
Tscheche radebricht wie der brave Soldat Schwejk. Mal mimt Pfleger den
"dummen August" zum Wohle des TV-Kunden, mal Hort.

Die beiden Großmeister spielen mit Gästen und einem Schachprogramm, das bei
den Analysen hilft, spannende Partien von den Schachtagen nach. Die
Zuschauer bekommen an den entscheidenden Stellen die Zugfolgen und Varianten
auf einem eingeblendeten virtuellen Brett präsentiert. Bei Schach der
Großmeister werden sich zwei Koryphäen live im Studio gegenübersitzen.
Titelverteidiger ist der ehemalige deutsche WM-Kandidat Robert Hübner, der
im Vorjahr Ex-Weltmeister Anatoli Karpow in einer Wiederauflage des ersten
Fernsehmatchs von 1982 bezwungen hatte. Ihn fordert die große deutsche
Nachwuchshoffnung Arkadij Naiditsch heraus. Solche Liveübertragungen bergen
durchaus die Gefahr, dass eine langweilige Remispartie aufs Brett kommt.
Dann kann eine zweieinviertelstündige Sendung zur Qual werden.
Wohl auch deshalb sind die Fernsehdirektoren zögerlich, wenn es darum geht,
dem Brettsport Sendezeit zur Verfügung zu stellen. Karge 34 Minuten und 20
Sekunden in 26 Kurzbeiträgen waren es im Jahr 2002, hat der Deutsche
Schachbund ausgerechnet - wenn man Pflegers Sendungen weglässt. Der Guru
brachte es mit mehr als 14 Stunden auf das 25-fache.
Es gab Zeiten, da kamen die Kämpfe zwischen Schwarz und Weiß öfter auf den
Bildschirm. Bis 1993 war das, ehe Garri Kasparow "diese Riesendummheit" mit
der Abspaltung vom Schach-Weltverband beging. Als es nur einen Weltmeister
gab, "liefen die Sendungen zu guten Sendezeiten in allen dritten Programmen,
teilweise in 3sat und im ZDF". Bei den Öffentlich-Rechtlichen sei früher
noch "viel mehr Geld da gewesen". Deshalb müssten die Schachspieler heilfroh
sein, dass es den Claus Spahn gibt. Er setzte sich als Redakteur stets beim
WDR ein. Er schied jetzt zwar aus, hat sich aber ausbedungen, dass die
Schach-Sendungen zumindest bis 2005 weitergehen. "Ich befürchte, dass sie
danach ohne Fürsprecher auslaufen", sagt Pfleger.

Dabei brüsten sich doch gerne Entscheider und Promis mit ihren Schachkünsten
und schmücken sich mit einem Intellektuellen-Image. Fußballtrainer Felix
Magath und Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker zählen zu Pflegers
Stammgästen. Auch Otto Schily strengt dort seine Gehirnwindungen an. "Wenn
der Sportminister wieder dabei ist, kann das nur förderlich sein", sagt der
60-Jährige. Der Märchenonkel hofft auf ein Happyend.
 

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