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Info-Mail Schach Nr. 275


Hallo Schachfreunde,

auch diesmal richtet Info-Mail Schach sein Augenmerk ausschließlich auf das
"Schach der Sehenden". In den nächsten Ausgaben dürfte aber dann wieder das
Blindenschach im Mittelpunkt stehen. Ab dem 28.08.2003 beginnt in Mondariz
(Spanien) die Europameisterschaft im Blindenschach. Unter den Teilnehmern
werden auch sechs Spieler aus Deutschland sein. Gleichzeitig und an gleicher
Stelle findet auch die Jugendweltmeisterschaft im Blindenschach statt -
ebenfalls mit deutscher Beteiligung.

Wir hoffen, dass wir Euch wieder möglichst zeitnah über beide Turniere
informieren können.

Doch zurück zur heutigen Info-Mail. Zunächst gibt es jede Menge "Fakten" zu
den Mainzer Chess Classics. Dabei wird auch von Chess 960 die Rede sein,
früher auch unter dem Namen "Fischer Random Chess" bekannt. Dies scheint
eine neue Modeerscheinung im Schach zu sein.

Danach beleuchtet Hartmut Metz in einem Artikel über Judit Polgar die
Situation im Damenschach.

Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen

Euer Toni
aus Augsburg

Chess Classic Mainz - 13.-17.08.2003

KAMPF DER GESCHLECHTER - Anand gewinnt 5-3
Die Chess Classic Mainz (CCM) sind bis zum letzten Zug spannend geblieben.
Die weltbeste Schachspielerin Judit Polgar ging in spektakulären Partien
dreimal in Front, Viswanathan Anand glich dreimal postwendend aus. Dann
übernahm der Inder die Regie und zog erstmals im siebten Duell in Front.
Auch in der achten Begegnung war Anand Herr des Geschehens und holte mit 5:3
zum vierten Mal in Folge den Titel bei den CCM.

CHESS 960 WM -  Peter Swidler neuer Chess 960 Weltmeister
Bei dieser Schachart wird die Startaufstellung der Figuren auf der
Grundreihe ausgelost. Alle Theoriebücher kann man beim Spiel vergessen. Das
Spiel heisst deshalb Chess 960, weil es 960 verschiedene Möglichkeiten der
Aufstellung gibt.
Peter Swidler löste durch ein 4,5:3,5  Peter Leko als Weltmeister ab. Im
nächsten Jahr wird er seinen Titel gegen den Sieger des Chess 960 Open,
Levon Aronian, verteidigen.

CHESS 960-OPEN - Sieger Aronjan
Warum nicht mal Chess 960 im Verein ausprobieren? Veranstalten Sie einfach
zur Abwechslung ein Turnier. Sie werden viele Überraschungen erleben. In
Mainz gab es gleich am ersten Tag einige. Elo-Riesen wurden plötzlich zu
Zwergen, weil sie vom ersten Zug an ihre immensen Theoriekenntnisse nicht
anwenden konnten. So verlor Igor Khenkin gegen Elisabeth Paehtz. Weltstar
Grischuk (Elo 2.737) spielte remis gegen Jens Beutel, den OB von Mainz .
Gewonnen hat letztlich vor 178 Kontrahenten Leon Aronian, der für den SV
Wattenscheid am 1. Brett in der Bundesliga spielen wird. Der Armenier
unterlag zwar in der zehnten Runde gegen Konstantin Landa, aber mit einem
Schlussrundensieg rückte er die Tabelle aus seiner Sicht wieder gerade. Dank
der exzellenten 9,5 Punkte ging er einen halben Zähler vor
Wadim Swagintsew und Landa durchs Ziel.

ORDIX OPEN - Topgesetzter Grischuk gewinnt
493 Teilnehmer - über 50 Großmeister und insgesamt 125 Titelträger.
Mit einem Schlussrundensieg gegen Evgeni Agrest sichert sich der junge Russe
in der letzten Runde den ungeteilten Turniersieg. Nach langsamen Start
schließt er in der 9. Runde zum lange Führenden Sokolov auf und siegt mit
9,5/11.

Frauenschach - Puppen schaden dem Denksport
Judit Polgar ist die einzige Frau, die im Männer-Schach mithalten kann /
Zweikampf in Mainz gegen Inder Anand
von FM Hartmut Metz, August 2003

   In den 30er Jahren fürchteten Schachspieler den "Vera Menchik Klub" wie
der Teufel das Weihwasser. Spötter hatten ihn gegründet und nahmen in diesen
jedes männliche Mitglied auf, das gegen Vera Menchik verlor. Dem späteren
niederländischen Weltmeister Max Euwe passierte gar zweimal das Malheur.
Fortan wurde er hämisch als "Präsident" des "Vera Menchik Klubs" tituliert.
Der Inder Mir Sultan Khan soll sich nach einer Schlappe gegen die
Engländerin aus Scham zwei Jahre lang nicht in seine Heimat zurückgetraut
haben. Die siebenfache Frauen-Weltmeisterin galt als ein Phänomen. Nicht,
weil Menchik bei den Weltmeisterschaften 78 ihrer 83 Partien gewann und nur
eine verlor. Vielmehr bot sie als erste Frau den Herren Paroli.
   Nach dem frühen Tod Menchiks 1944 in London durch eine deutsche
V-1-Rakete dauerte es fast ein halbes Jahrhundert, bis wieder eine
Schachspielerin auftauchte, die die Männerwelt das Fürchten lehrte: Judit
Polgar. Die Ungarin steht heute (bis Sonntag täglich ab 18.30 und 20 Uhr) in
der Mainzer Rheingoldhalle vor ihrer größten Herausforderung in einem
Zweikampf. Bei den Chess Classic trifft die 27-Jährige in acht
Schnellschach-Partien auf Viswanathan Anand. Weil Polgar die
Damen-Weltrangliste, die sie seit einem Jahrzehnt souverän anführt, kaum
interessiert und Frauen-Wettbewerbe generell meidet, bedeutet dies in
männlichen Weltranglisten-Zahlen: Platz elf gegen Platz drei. "Sie ist der
leuchtende Stern im Frauenschach und dort eine Klasse für sich", bekundet
Anand Respekt. Der "Tiger von Madras" rechnet deshalb mit einem "engen
Match". Polgar verspricht einen "großen Kampf gegen den Favoriten". Ob der
indische Sportler des Jahres im Falle einer Schlappe dem Beispiel seines
Landsmanns Mir Sultan Khan folgen würde, ist noch ungeklärt. Experten halten
ohnehin einen Kantersieg des überragenden "schnellen Brüters" für
wahrscheinlicher.

Judit Polgar
   Kantersiege würde Judit Polgar bei den Frauen zweifellos ständig feiern.
Nach der Babypause ihrer Schwester Susan, die ihren WM-Titel kampflos abgab,
liegt die zweitbeste Großmeisterin, Antoaneta Stefanova (Bulgarien), bei den
Männern auf Platz 609; Weltmeisterin Zhu Chen (China) ist 685. Ein solch
gewaltiger Unterschied, als würde die beste Sprinterin über 100 Meter
ständig mit zehn Metern Vorsprung über die Ziellinie laufen. "Ich habe kein
Problem mit Frauen, sondern nur mit dem Niveau ihres Spiels", unterstreicht
Polgar und betont, "die Vergleiche mit Männern stellen eine größere
Herausforderung für mich dar."
   Die zahlreichen Chauvinisten beim königlichen Spiel schwanken noch
zwischen drei Thesen, warum Frauen "nichts vom Schach verstehen": 1. Sie
können nicht logisch denken. 2. Sie können während einer Turnierpartie keine
vier Stunden lang die Klappe halten. Am wahrscheinlichsten sei jedoch
Theorie drei: Beides trifft zu. In Deutschland lässt sich die Malaise des
schwachen Schach-Geschlechts indes an reinen Zahlen festmachen: Die
Sportfischer haben mit 3,7 Prozent den niedrigsten Frauenanteil. In dieser
Negativstatistik des Deutschen Sportbundes folgt gleich dahinter der
Deutsche Schachbund. Von den rund 93.000 Mitgliedern sind nur 5.546
weiblich. Keine sechs Prozent! Selbst Boxen (15,5 Prozent) und Gewichtheben
(25 Prozent) bringen es auf einen zweieinhalb- bis vierfach so hohen Anteil.
   Polgar sieht "das größte Problem in der Tradition und der Gesellschaft.
Bei den Anfängern liegt der Frauenanteil in manchen Ländern bei fast 50
Prozent, später verschiebt sich dies aber zusehends". Die Klötzchenschieber
genießen zwar nirgends den Ruf aggressiver Kampfsportler. Dass der Denksport
aber durchaus psychische Härte erfordert, lässt sich an einer alten
Untersuchung festmachen: Frauen, die in ihrer Kindheit mit Puppen spielten,
bringen es im Schach selten weit. In Deutschland waren rund drei Viertel der
Spitzenspielerinnen in ihrer Kindheit eher wie Jungs erzogen worden und ohne
Puppen aufgewachsen. Weil schon minimale Leistungen im Mädchenbereich
reichen, um Titel zu hamstern, fordert die Weltranglistenelfte als
Gegenmaßnahme "die Aufhebung der Geschlechtertrennung. Langfristig würde
sich so das Niveau anpassen, was unserem Spiel gut täte."
   Bezeichnenderweise ist im Deutschen Schachbund der Posten als
Frauen-Referentin vakant. Bei den deutschen Meisterschaften vor zwei Wochen
ging die Siegerin nach neun Runden mit 1,5 Punkten Vorsprung durchs Ziel -
die Frau war früher ein Mann.
 

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