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Info-Mail Schach Nr. 323


Hallo Schachfreunde,
Vladimir Kramnik gewinnt Linares 2004.
In unserer letzten Mail hatten wir im Hinblick auf drei entschiedene Partien
in Runde 7 auf eine kämpferische zweite Halbzeit gehofft - nix war es. Ich
überlegte mir schon, mit welchen Kommentaren ein einfacher
Sch(w)achspieler aus der Provinz, das Spielverhalten der Weltspitze
kritisieren darf. Ich hatte Glück - zwei Experten nehmen mir das ab.
In dieser Mail folgt nach dem Endstand ein Stimmungsbericht von Dirk Poldauf
(Zeitschrift SCHACH) und auch André Schulz (ChessBase) äußert sich
kritisch über diese Art von Turnierform. Interessant am Ende seines Berichts
äDie andere Tabelleô mit einer Auflistung über die Länge der von den
einzelnen Teilnehmern gespielten Partien.
Wie nötig es ist, Schach in der Öffentlichkeit bekannter zu machen, zeigt
der Text einer Nachrichtenagentur über die Remispartie Kasparov gegen Leko
im Videotext: äKasparov gab auf und einigte sich nach 19 Zügen auf Remisô.
Trotzdem weiterhin viel Spaß mit dem gemeinsamen Hobby wünscht
Herbert Lang

Endstand - Linares 2004:
1 Kramnik Russland 7
2 Leko Ungarn 6,5
3 Kasparov Russland 6,5
4 Radjabov Aserbaidschan 6
5 Topalov Bulgarien 6
6 Shirov Spanien 5
7 Vallejo Spanien 5

Stimmungsbericht von Dirk Poldauf
Ich habe bereits die ersten Anfragen erhalten, wo die Tagesberichte aus
Linares bleiben. Leider muss ich gestehen, dass mich in den ersten Tagen
meines Aufenthaltes eine Depression befallen hatte, die erst jetzt langsam
weicht. Was soll man von einem Turnier berichten, in dem sich ein KRAMNIK
und ein KASPAROW nach nur ein paar Zügen ohne Kampf remis trennen?
Wo sind sie geblieben, die alten Zeiten? Kasparow spuckt übers Jahr große
Töne, aber gegen Leko und Kramnik reichte es in seinem wohl einzigen
Auftritt 2004 nur zu (darunter zwei ultrakurzen) Remisen. Wie will er mit
nur einem einzigen Sieg (Stand vor der letzten Stunde) seinen
selbstgesetzten Anspruch auf Rang 1 in der Welt festigen?
Im Gegensatz zu den Vorjahren, als es parallel ein Open gab, ist das
legendäre äAnibalô wie ausgestorben. Die Zahl der Zuschauer im Turniersaal
beläuft sich im Schnitt auf 10-15. Über zwei Drittel des Turnieres hielt
Juri Wassiljew/Moskau (meines Wissens) als einziger (!) ausländischer
Korrespondent die Stellung. Nach dem Ruhetag sind wir mittlerweile eine
Handvoll. Und das beim sogenannten Wimbledon des Schachs!
Die meisten Schreiber sparen sich die Kosten sowie die Reisestrapazen in die
andalusische Provinz (einige Stunden Zug von Madrid) und lauern auf
Informationen aus dem Internet. Eine bedauerliche Entwicklung, die zu Lasten
einer lebendigen und wahrhaftigen Schilderung und damit zu Lasten der Fans
geht. Auch das ist ein Grund, warum ich mich an dieser Stelle auch im
Interesse der vor Ort befindlichen Kollegen nur auf die Wiedergabe einiger
oberflächlicher Eindrücke beschränken möchte, ohne äFleischô zu liefern.
Denn selbst dieses Turnier, das insgesamt viel zu viel Angsthasenschach
bietet und die aficionados weltweit schwer enttäuscht hat, weist einige
tolle Höhepunkte und delikate Geschichten auf, die ich in meiner Reportage
in äSchachô 4/2004 ausführlich beleuchten werde.
Beim Stichwort Leko-Kramnik und angesichts der Geschehnisse um die
hochemotionale Schlacht Kasparow-Topalow bessert sich meine Laune gleich
etwas auf. Ebenso wie das Wetter in Linares. Nach Regen und Kälte zu Beginn
hat nun der Frühling Einzug gehalten.
Heute findet die letzte Runde statt. Kramnik führt, aber auch ein sich müde
und zugleich unglaublich verbissen präsentierender Kasparow sowie
WM-Herausforderer Peter Leko haben noch Chancen auf den Turniersieg. Ich
hoffe auf einen dramatischen Schlussgang und muss zusehen, dass ich heute
ordentlich ranklotze und u. a. noch einige fehlende Stimmen einhole. Auf die
Meinung von Luis Rentero bin ich selbst schon am meisten gespannt...

Kramnik gewinnt Turnier in Linares (Internetseite von ChessBase)
Mit dem minimal möglichen Kraftaufwand hat Vladimir Kramnik das
Großmeisterturnier in Linares gewonnen. Seinen zwei Siegen stehen 10 Remisen
gegenüber. Es ist das gleiche Ergebnis, das Kramnik schon im
letzten Jahr zum (geteilten) Turniersieg gereicht hatte. Damals spielte er
vier Kurzremisen mit 25 Zügen oder weniger, diesmal waren es sieben. Die
durchschnittliche Länge seiner Partien betrug dabei 27 Züge. Von den
insgesamt 42 Partien fanden in Linares 2004 nur 9 einen Sieger, unter den
31 Remisen waren mindestens 14 praktisch kampflos.
Kramnik und Topalov hatten heute in durchaus interessanter Stellung im
20.Zug die Partie abgebrochen und Remis gemacht und waren vor Ablauf einer
Stunde von der Bühne verschwunden. Damit hatte Kramnik seinen Turniersieg
in Linares 2004 gesichert. Ein Kurzremis in der Schlussrunde ist auf
GM-Turnieren, und nicht nur dort, durchaus üblich, besonders wenn dies den
Turniersieg sichert. Im Fall des amtierenden Weltmeisters im klassischen
Schach standen allerdings schon sechs weitere kampflose Remis aus den Runden
zuvor zu Buche.
Mit 2 Siegen und 10 Remisen sichert sich Kramnik den Sieg in Linares 2004.
Es ist ganz genau das gleiche Ergebnis, mit dem er im letzten Jahr gewann.
Damals produzierte er vier Remisen mit 25 Zügen oder weniger, diesmal schon
sieben mehr oder weniger kampflose Partien. Im letzten Jahr gab es in
Linares immerhin noch 15 entschiedene Partien, diesmal waren es nur noch 9.
Auch das Dortmunder GM-Turnier mit ähnlichem Personal litt im Jahr 2003
unter einer Vielzahl von kampflosen Remisen, nämlich acht bei insgesamt 30
Partien, die mit 11 Siegen zu 19 Remis immerhin noch eine erträglich Quote
aufweist. Dortmund 2003 und Linares 2003 und 2004 haben das Format
gemeinsam: sechs oder sieben Spieler, von denen sich einige sehr gut kennen,
spielen doppelrundig gegeneinander. Es scheint, dass dieses Format keine
Spannung und keinen Willen zum Kampf bei einigen Spielern aufkommen lässt.
Dortmund wird deshalb in diesem Jahr auch wieder zum erfolgreichen Modell
des Turniers 2002 zurückkehren.
Besonders erstaunlich ist noch, dass gerade der Weltmeister und
herausragende Verfechter des Schachs mit klassischer Bedenkzeit durch seine
große Anzahl von Kurzpartien dafür sorgt, dass die Befürworter der
verkürzten Bedenkzeit Nahrung für ihre Argumente erhalten. Linares 2004 war
keine Werbung fürs Schach, die Kämpfer Shirov, Radjabov, Kasparov und
Topalov standen auf verlorenen Posten.
Es scheint überflüssig zu betonen, vielleicht aber doch nicht, dass das
Profischach direkt oder indirekt vom öffentlichen Interesse lebt und durch
dieses finanziert wird, und dass sich lustlose Spieler selber, aber auch
ihren Kollegen und dem Schach insgesamt schaden. Dass es auch anders geht,
zeigen die Corus- Turniere. Hier spielen mehr Spieler(vierzehn) und das
Leistungsgefälle ist größer, so dass es zu mehr Kampfpartien kommt.

Die andere Tabelle:
Name         0-25 Züge  26-40 Zü  über 40 Zü  Durchs. Ergebnis
Shirov       3 Partien  2 Partien 7 Partien  46 Züge  +1   =8   -3
Radjabov    2 Partien  3 Partien 7 Partien  45 Züge  +2   =8   -2
Kasparov     2 Partien  4 Partien 6 Partien  38 Züge  +1  =11   -0
Topalov      3 Partien  6 Partien 3 Partien  37 Züge  +1  =10   -1
Vallejo      5 Partien  3 Partien 4 Partien  32 Züge  +0  =10   -2
Leko         6 Partien  2 Partien 4 Partien  32 Züge  +2   =9   -1
Kramnik      7 Partien  4 Partien 1 Partie   27 Züge  +2  =10   -0

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