Hallo Schachfreunde, Vladimir Kramnik gewinnt Linares 2004. In unserer letzten Mail hatten wir im Hinblick auf drei entschiedene Partien in Runde 7 auf eine kämpferische zweite Halbzeit gehofft - nix war es. Ich überlegte mir schon, mit welchen Kommentaren ein einfacher Sch(w)achspieler aus der Provinz, das Spielverhalten der Weltspitze kritisieren darf. Ich hatte Glück - zwei Experten nehmen mir das ab. In dieser Mail folgt nach dem Endstand ein Stimmungsbericht von Dirk Poldauf (Zeitschrift SCHACH) und auch André Schulz (ChessBase) äußert sich kritisch über diese Art von Turnierform. Interessant am Ende seines Berichts äDie andere Tabelleô mit einer Auflistung über die Länge der von den einzelnen Teilnehmern gespielten Partien. Wie nötig es ist, Schach in der Öffentlichkeit bekannter zu machen, zeigt der Text einer Nachrichtenagentur über die Remispartie Kasparov gegen Leko im Videotext: äKasparov gab auf und einigte sich nach 19 Zügen auf Remisô. Trotzdem weiterhin viel Spaß mit dem gemeinsamen Hobby wünscht Herbert Lang Endstand - Linares 2004: 1 Kramnik Russland 7 2 Leko Ungarn 6,5 3 Kasparov Russland 6,5 4 Radjabov Aserbaidschan 6 5 Topalov Bulgarien 6 6 Shirov Spanien 5 7 Vallejo Spanien 5 Stimmungsbericht von Dirk Poldauf Ich habe bereits die ersten Anfragen erhalten, wo die Tagesberichte aus Linares bleiben. Leider muss ich gestehen, dass mich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes eine Depression befallen hatte, die erst jetzt langsam weicht. Was soll man von einem Turnier berichten, in dem sich ein KRAMNIK und ein KASPAROW nach nur ein paar Zügen ohne Kampf remis trennen? Wo sind sie geblieben, die alten Zeiten? Kasparow spuckt übers Jahr große Töne, aber gegen Leko und Kramnik reichte es in seinem wohl einzigen Auftritt 2004 nur zu (darunter zwei ultrakurzen) Remisen. Wie will er mit nur einem einzigen Sieg (Stand vor der letzten Stunde) seinen selbstgesetzten Anspruch auf Rang 1 in der Welt festigen? Im Gegensatz zu den Vorjahren, als es parallel ein Open gab, ist das legendäre äAnibalô wie ausgestorben. Die Zahl der Zuschauer im Turniersaal beläuft sich im Schnitt auf 10-15. Über zwei Drittel des Turnieres hielt Juri Wassiljew/Moskau (meines Wissens) als einziger (!) ausländischer Korrespondent die Stellung. Nach dem Ruhetag sind wir mittlerweile eine Handvoll. Und das beim sogenannten Wimbledon des Schachs! Die meisten Schreiber sparen sich die Kosten sowie die Reisestrapazen in die andalusische Provinz (einige Stunden Zug von Madrid) und lauern auf Informationen aus dem Internet. Eine bedauerliche Entwicklung, die zu Lasten einer lebendigen und wahrhaftigen Schilderung und damit zu Lasten der Fans geht. Auch das ist ein Grund, warum ich mich an dieser Stelle auch im Interesse der vor Ort befindlichen Kollegen nur auf die Wiedergabe einiger oberflächlicher Eindrücke beschränken möchte, ohne äFleischô zu liefern. Denn selbst dieses Turnier, das insgesamt viel zu viel Angsthasenschach bietet und die aficionados weltweit schwer enttäuscht hat, weist einige tolle Höhepunkte und delikate Geschichten auf, die ich in meiner Reportage in äSchachô 4/2004 ausführlich beleuchten werde. Beim Stichwort Leko-Kramnik und angesichts der Geschehnisse um die hochemotionale Schlacht Kasparow-Topalow bessert sich meine Laune gleich etwas auf. Ebenso wie das Wetter in Linares. Nach Regen und Kälte zu Beginn hat nun der Frühling Einzug gehalten. Heute findet die letzte Runde statt. Kramnik führt, aber auch ein sich müde und zugleich unglaublich verbissen präsentierender Kasparow sowie WM-Herausforderer Peter Leko haben noch Chancen auf den Turniersieg. Ich hoffe auf einen dramatischen Schlussgang und muss zusehen, dass ich heute ordentlich ranklotze und u. a. noch einige fehlende Stimmen einhole. Auf die Meinung von Luis Rentero bin ich selbst schon am meisten gespannt... Kramnik gewinnt Turnier in Linares (Internetseite von ChessBase) Mit dem minimal möglichen Kraftaufwand hat Vladimir Kramnik das Großmeisterturnier in Linares gewonnen. Seinen zwei Siegen stehen 10 Remisen gegenüber. Es ist das gleiche Ergebnis, das Kramnik schon im letzten Jahr zum (geteilten) Turniersieg gereicht hatte. Damals spielte er vier Kurzremisen mit 25 Zügen oder weniger, diesmal waren es sieben. Die durchschnittliche Länge seiner Partien betrug dabei 27 Züge. Von den insgesamt 42 Partien fanden in Linares 2004 nur 9 einen Sieger, unter den 31 Remisen waren mindestens 14 praktisch kampflos. Kramnik und Topalov hatten heute in durchaus interessanter Stellung im 20.Zug die Partie abgebrochen und Remis gemacht und waren vor Ablauf einer Stunde von der Bühne verschwunden. Damit hatte Kramnik seinen Turniersieg in Linares 2004 gesichert. Ein Kurzremis in der Schlussrunde ist auf GM-Turnieren, und nicht nur dort, durchaus üblich, besonders wenn dies den Turniersieg sichert. Im Fall des amtierenden Weltmeisters im klassischen Schach standen allerdings schon sechs weitere kampflose Remis aus den Runden zuvor zu Buche. Mit 2 Siegen und 10 Remisen sichert sich Kramnik den Sieg in Linares 2004. Es ist ganz genau das gleiche Ergebnis, mit dem er im letzten Jahr gewann. Damals produzierte er vier Remisen mit 25 Zügen oder weniger, diesmal schon sieben mehr oder weniger kampflose Partien. Im letzten Jahr gab es in Linares immerhin noch 15 entschiedene Partien, diesmal waren es nur noch 9. Auch das Dortmunder GM-Turnier mit ähnlichem Personal litt im Jahr 2003 unter einer Vielzahl von kampflosen Remisen, nämlich acht bei insgesamt 30 Partien, die mit 11 Siegen zu 19 Remis immerhin noch eine erträglich Quote aufweist. Dortmund 2003 und Linares 2003 und 2004 haben das Format gemeinsam: sechs oder sieben Spieler, von denen sich einige sehr gut kennen, spielen doppelrundig gegeneinander. Es scheint, dass dieses Format keine Spannung und keinen Willen zum Kampf bei einigen Spielern aufkommen lässt. Dortmund wird deshalb in diesem Jahr auch wieder zum erfolgreichen Modell des Turniers 2002 zurückkehren. Besonders erstaunlich ist noch, dass gerade der Weltmeister und herausragende Verfechter des Schachs mit klassischer Bedenkzeit durch seine große Anzahl von Kurzpartien dafür sorgt, dass die Befürworter der verkürzten Bedenkzeit Nahrung für ihre Argumente erhalten. Linares 2004 war keine Werbung fürs Schach, die Kämpfer Shirov, Radjabov, Kasparov und Topalov standen auf verlorenen Posten. Es scheint überflüssig zu betonen, vielleicht aber doch nicht, dass das Profischach direkt oder indirekt vom öffentlichen Interesse lebt und durch dieses finanziert wird, und dass sich lustlose Spieler selber, aber auch ihren Kollegen und dem Schach insgesamt schaden. Dass es auch anders geht, zeigen die Corus- Turniere. Hier spielen mehr Spieler(vierzehn) und das Leistungsgefälle ist größer, so dass es zu mehr Kampfpartien kommt. Die andere Tabelle: Name 0-25 Züge 26-40 Zü über 40 Zü Durchs. Ergebnis Shirov 3 Partien 2 Partien 7 Partien 46 Züge +1 =8 -3 Radjabov 2 Partien 3 Partien 7 Partien 45 Züge +2 =8 -2 Kasparov 2 Partien 4 Partien 6 Partien 38 Züge +1 =11 -0 Topalov 3 Partien 6 Partien 3 Partien 37 Züge +1 =10 -1 Vallejo 5 Partien 3 Partien 4 Partien 32 Züge +0 =10 -2 Leko 6 Partien 2 Partien 4 Partien 32 Züge +2 =9 -1 Kramnik 7 Partien 4 Partien 1 Partie 27 Züge +2 =10 -0