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Info-Mail Schach Nr. 373


Hallo Schachfreunde,
schon wieder remis und schon wieder eine Mail mit Lesestoff zur Schach-WM.
Die 4. Partie am Donnerstag dauerte immerhin 43 Züge, bevor Kramnik in das
Remis einwilligte, da das Doppelturmendspiel mit einem Mehrbauer nicht zu
gewinnen ist. In einem Interview vor dem Wettkampf meinte Peter Leko "Blut
muss fließen" - nicht nur Hartmut Metz meldet in seinem Bericht über den
Verlauf der ersten drei Partien Zweifel an.
Ich finde den Artikel mit Schwerpunkt "Zigarren und Schach" lesenswert, auch
wenn er etwas verspätet kommt.
Viel Spaß beim Lesen, ein schönes Wochenende und viel Blut bei den Partien
am Samstag und Sonntag wünscht
Herbert Lang

Viel Rauch um nichts - von FM Hartmut Metz, 30. September 2004
Emanuel Lasker hätte die feinen Zigarren des aktuellen WM-Sponsors Dannemann
bestimmt nicht während der Partien geraucht. Der einzige deutsche
Weltmeister, der so lange wie kein anderer den höchsten Schachtitel - 27
Jahre von 1894 bis 1921 - innehielt, galt am Brett als ein mit allen Wassern
gewaschener Psychologe. Als ihm einmal ein Verehrer ein paar teure Zigarren
überreichte, steckte Lasker die ungerührt in die Jackentasche. Zum Verdruss
seines Kontrahenten paffte der Weltmeister aus dem brandenburgischen
Berlinchen während der Partie ungerührt sein widerlich stinkendes Kraut
weiter.
Derlei Tricks hätten dem von seinem Freund Albert Einstein als
Gesprächspartner besonders geschätzten Doktor der Mathematik und der
Philosophie gegen einen seiner Nachfolger auf dem WM-Thron wenig geholfen:
Der asketische Russe Michail Botwinnik ließ sich in Trainingspartien den
Qualm ins Gesicht blasen, um gegen diese Ablenkung immun zu werden. Als sich
die Schachspieler in den 80er Jahren um Aufnahme in die nationalen
Sportverbände bemühten, mussten die Aschenbecher endlich von den Tischen
weichen. Die wüsten Drohungen der Nikotinabhängigen, einen Gegenverband zu
gründen, verhallten ungehört. Nun eilen sie, wenn der Gegner brütet, aus den
Spielsälen und machen ein paar hastige Züge - an der Kippe, nicht am Brett,
wohin es wieder hektischen Schrittes zurückgeht.
Das Ritual absolviert auch Weltmeister Wladimir Kramnik bei der WM in
Brissago (Schweiz). Sein Kontrahent Peter Leko, ein ungarischer Sportsmann
durch und durch, nippt derweil in seinem Ruheraum im Centro Dannemann
höchstens gelangweilt am Orangensaft oder schält sich eine Banane. Doch
nicht etwa der gesund lebende Herausforderer führt nach drei der 14 Partien,
sondern der irdischen Genüssen wohlgesonnene Titelverteidiger aus Tuapse.
Der Sohn eines Bildhauers vom Schwarzen Meer hatte vergangenen Samstag mit
einem Paukenschlag die erste Partie für sich entschieden. In 65 Zügen
manövrierte der Russe mit seinen zwei schwarzen Türmen die weiße Dame von
Leko geschickt aus.
Danach bewahrheiteten sich die Befürchtungen aller Schachfans, die vor dem
mit einer Million Franken (645.000 Euro) dotierten Wettkampf geunkt hatten,
dass es am Lago Maggiore zu einem Remis-Festival komme: Der 28-jährige
Kramnik, dem ein 7:7 zur Titelverteidigung genügt, wickelte zweimal rasch
und unbarmherzig in Unentschieden ab. Nach 18 Zügen fügte sich Leko mit
Schwarz in sein Schicksal, den Anzugsvorteil als Weißer konnte er am
Dienstag ebenso wenig nutzen. Der 25-Jährige stellte seine Sieg-Bemühungen
bald ein. Reichlich frustrierend für ihn wie die Zuschauer vor Ort. Die
Millionen im Internet können sich wenigstens leicht offline klicken. Die ins
Centro Dannemann gepilgerten Besucher müssen jedoch 30 Franken (20 Euro)
berappen, was für keine zwei Stunden Schach ziemlich happig ist. Vor allem,
wenn wie in der dritten Partie die ersten 17 Züge aus der ersten Begegnung
wiederholt werden, Leko dann 50 Minuten über eine andere Fortsetzung
nachdenkt und in sechs weiteren Zügen den Friedensschluss perfekt macht.
Auch in der heutigen vierten Partie (15 Uhr) hängt die Last der Unterhaltung
an dem Weltranglistenfünften aus Szeged. Der kühl kalkulierende Kramnik wird
mit Weiß pragmatisch das nächste Remis anstreben.
Die Zeiten, als nicht nur die Köpfe am Brett rauchen durften, waren
unterhaltsamer. Außer Lasker, nach dem ein Zug der Deutschen Bahn benannt
wurde, verstand sich auch Jefim Bogoljubow als Meister der psychologischen
Kriegsführung. Als der Vizeweltmeister auf den zart besaiteten Dänen Aaron
Nimzowitsch traf, legte der in Triberg lebende Schwarzwälder demonstrativ
eine riesige Zigarre neben das Brett. Aufgeregt begab sich Nimzowitsch zum
Schiedsrichter. Dieser wies ihn darauf hin, dass Bogoljubow doch
Nichtraucher sei. Der gebürtige Balte war dadurch allerdings kaum zu
beruhigen und konterte mit seinem berühmtesten Schach-Lehrsatz: "Die Drohung
ist stärker als ihre Ausführung!"
Letztlich war die Aktion Nimzowitschs das, was die Experten bis zum Ende
des Matchs am 18. Oktober im Centro Dannemann genauso fürchten: Viel Rauch
um nichts.

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