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Info-Mail Schach Nr. 376


Hallo Schachfreunde,
remis nach 68 Zügen - so lautet die letzte Meldung von der Schach-WM in
Brissago.
Aber "natürlich" geschah diese hohe Zügezahl nicht in einer Partie - die
Remispartien 9-11 dauerten insgesamt so lange. Es ist schon eigenartig, dass
der Kampfgeist der Spieler in Partie 10 gelobt wird, weil unglaubliche 35
Züge zu bewundern waren. In der am Dienstag gespielten elften Partie war das
Spektakel nach 17 Zügen in nur eineinhalb Stunden vorbei. Die beiden
Kontrahenten waren einmal mehr mit einer minimalen Leistung zufrieden,
während das 20 Euro für die Tageskarte zahlende Publikum das Nachsehen
hatte. Ist die hohe Anzahl der Kurzremisen wirklich nur durch den
angegriffenen Gesundheitszustand von Kramnik zu erklären? Kritisch hierzu
äußert sich der Journalist und Fidemeister Hartmut Metz im folgenden
Beitrag.
Einen Satz in diesem Artikel wage ich zu widersprechen. In der
Schachgeschichte wird 1 - in Worten eine - der bisher gespielten
Partien in Erinnerung bleiben. Es handelt sich um die achte Partie
mit dem grandiosen Sieg von Peter Leko.
Eine Partie von vierzehn - zu wenig - meint
Herbert Lang

Hartmut Metz in der Frankfurter Rundschau online am 11.10.2004:
In verschiedenen Ringecken
Der Schach-WM-Kampf zwischen Wladimir Kramnik und Peter Leko
bringt Experten und Fans zeitweilig auf die Palme
Selbst der besonnene irische Schach-Großmeister Alexander Baburin lässt
seiner Enttäuschung über den mit einer Million Franken dotierten WM-Kampf
freien Lauf: "Auch wenn es beiden viel bedeutet, den Titel zu gewinnen: So
wie Wladimir Kramnik und Peter Leko derzeit spielen, beschädigen sie den
Schachsport - und ihren eigenen Marktwert." Der Israeli Lew Psachis, in den
Achzigern sowjetischer Landesmeister und einer der stärksten Spieler auf dem
Globus, fällt ebenfalls ein vernichtendes Urteil: "Keine der bisherigen
Partien wird in der Schach-Geschichte in Erinnerung bleiben." Der
Zwischenstand von 5,5:4,5 für Herausforderer Leko nach zehn der 14 Partien
gerät in Brissago (Schweiz) zur Nebensache.

Drei der Duelle endeten im Tessin mit einem Sieger. Damit straften der Ungar
und Kramnik eigentlich die größten Lästerzungen Lügen, die weniger
entschiedene Begegnungen prophezeit hatten. Doch die Unentschieden bringen
die Schachfans auf die Palme. Remis sind auf hohem Niveau zwischen
Weltklassespielern unvermeidlich und normal - allerdings nicht nach kaum 20
Zügen, wie es bei der WM in der Hälfte aller Partien geschah. Am Samstag war
es zum unrühmlichen Höhepunkt gekommen, als Leko und Kramnik 16 bekannte
Eröffnungszüge heruntergespult und sich nach 88 Minuten die Hände
geschüttelt hatten.

David Levy, Präsident der Internationalen Schachcomputer-Vereinigung ICGA,
ätzte: "Stellen Sie sich zwei Boxer vor, die in zwei entgegengesetzten
Ringecken vor sich hintänzeln und nur alle paar Runden einmal aufeinander
losgehen, weil sie einen glücklichen Niederschlag durch den Kontrahenten
fürchten. Wenn das die Einstellung von Schwergewichtskämpfern wäre, wie
lange wäre Boxen noch ein Zuschauersport?"

Die harsche Kritik zeigte zumindest in der zehnten Partie am Sonntagabend
Wirkung, als sich der unter einer Grippe leidende Kramnik 35 Züge um den
Ausgleich mühte. Doch mit einer umsichtigen Verteidigung rettete der
25-jährige Leko erneut ein Remis. Vier fehlen dem kaum zu überwindenden
Weltranglistensechsten noch, um seinen bereits im Alter von elf Jahren
angekündigten Traum, "Weltmeister zu werden", wahr zu machen. Den Titel
hätte Kramnik in diesem Fall dann wohl wegen eines Computers verloren. Der
Weltmeister hatte in der achten Partie einmal mehr die Eröffnungszüge
heruntergespult und brachte dann im 24. Zug ein genial wirkendes Damenopfer,
anstatt durch eine Zugwiederholung das gewohnte Unentschieden zu erzwingen.

Fatal dabei: Auf einem durchschnittlichen Rechner wähnen Schach-Programme
Weiß durch das Damenopfer für einen nur halb so wertvollen Turm etwa eine
Viertelstunde lang auf der Siegerstraße. Erst nach tieferem Schürfen ändern
sie die Stellungsbewertung radikal und schwenken ins Lager von Schwarz um.
Leko verbrauchte zwar fast seine komplette Bedenkzeit von zwei Stunden, fand
aber die Widerlegung. Ein kurzer Ausbruch aus der Langeweile, weil Kramnik
seinen Computer bei der Partievorbereitung zu früh ausgeschaltet hatte.

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