nächste Ausgabe vorherige Ausgabe Übersicht
Newsletter abonnieren

Info-Mail Schach Nr. 378


Hallo Schachfreunde,
Wladimir Kramnik bleibt Schachweltmeister - so lautet eine der zahlreichen
Pressemeldungen. Eigentlich ist dies so nicht ganz richtig - der
Weltschachbund FIDE hat offiziell einen anderen aktuellen
Schachweltmeister. Im folgenden Beitrag schildert ein Schachexperte die
Situation und weist auf die allgemeine Problematik im Spitzenschach hin.
Über die Schacholympiade auf Mallorca wird Toni demnächst berichten.
Herbert Lang

Kramnik bleibt Schach-Weltmeister - von Dirk Poldauf
Der Russe besiegt in der letzten Partie den Ungarn Peter Leko -
Reformen gegen die Langeweile
Nach knapp vier Stunden Spielzeit gab Wladimir Kramnik gestern in
Brissago/Schweiz kurz vor 19 Uhr das entscheidende Schach mit dem Springer.
Herausforderer Peter Leko (Ungarn) sammelte sich noch einige Sekunden und
gab wegen des unparierbaren Matts in zwei Zügen die Partie auf. Der 29 Jahre
alte, nervenstarke Russe, der den Titel erstmals 2000 erobert hatte, stieß
den rechten Arm in die Luft. Aus dem Auditorium erklangen Hochrufe auf den
alten und neuen Weltmeister, dem das 7:7-Unentschieden zur Titelverteidigung
reichte. Beide Großmeister teilen sich die WM-Börse von einer Million
Schweizer Franken.
Das Match spiegelt indes die gegenwärtige Krise im Spitzenschach wider.
Bereits die diesjährigen Superturniere von Linares und Dortmund litten unter
einer Vielzahl an langweiligen Partien. Viele der besten Spieler der Welt
haben die Fähigkeit verloren, am Brett zu improvisieren. Insbesondere die
Arbeit mit den Datenbanken, in denen Millionen von Partien gespeichert sind,
und den immer leistungsfähiger werdenden Rechnern tötet nicht selten die
Kreativität und die Lust am Risiko. Es geht vornehmlich darum, bereits im
Vorfeld des Wettkampfes die Lücken im Eröffnungsrepertoire des Gegners
ausfindig zu machen. Hat der Kontrahent auf den Überrumpelungsversuch das
entsprechende Gegenmittel parat, wird oft schon nach wenigen Zügen die
Friedenspfeife geraucht. In Brissago betraf dies etwa die Hälfte der
vierzehn Partien. Es kam vor, daß Kramnik und Leko eine bereits gespielte
Partie komplett kopierten und dann die Bühne verließen. Die Schachanhänger
haben für derartige Aufführungen kein Verständnis. An der Basis brodelt es.
Kramnik bringt auf kritische Nachfragen gerne ein Bild aus dem Fußball. Er
sähe lieber ein 0:0 zwischen Frankreich und Italien als ein torreiches
Zweitligaspiel.
Doch das sicherheitsbetonte Geschiebe zwischen ihm und Leko erinnerte über
weite Strecken an den Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Österreich
bei der WM 1982 in Spanien. Die großen Zweikämpfe der Vergangenheit wie
Spasski-Fischer, Karpow-Kortschnoj oder Karpow-Kasparow lebten immer auch
von den persönlichen Konflikten zwischen den Akteuren und im politischen
Umfeld.
Kramnik und Leko hingegen sind miteinander befreundet, haben mit dem
Dortmunder Carsten Hensel denselben Manager und wohnten während des Matches
im selben Hotel. All das dürfte der sportlichen Aggressivität am Brett etwas
abträglich gewesen sein.
Es sind dringend Reformen nötig. Da Profis wie Kramnik und Leko durch und
durch pragmatisch eingestellt und einzig auf den sportlichen Erfolg
ausgerichtet sind, helfen nur Zwangsmaßnahmen. Joel Lautier (Frankreich),
Präsident der Spielergewerkschaft ACP (Association of Chess Professionals),
verkündete in Brissago bereits eine Änderung des Reglements für zukünftige
WM-Kämpfe. Remisangebote vor dem 40. Zug sollen verboten werden.
Die Schachwelt ist seit 1993 gespalten. Der aktuelle Champion des
Weltschachbundes FIDE, der seine Wettbewerbe mit einer deutlich kürzeren
Bedenkzeit austrägt, ist der Usbeke Rustam Kasimdshanow. Er tritt im Januar
2005 in Dubai gegen Garri Kasparow (Rußland) an. Der Sieger dieses
Wettkampfes soll dann im Duell gegen Kramnik den einzigen Weltmeister
ermitteln.

zurück zur Startseite

© 1998 - 2015 by Anton Lindenmair, Augsburg