Hallo Schachfreunde, Wladimir Kramnik bleibt Schachweltmeister - so lautet eine der zahlreichen Pressemeldungen. Eigentlich ist dies so nicht ganz richtig - der Weltschachbund FIDE hat offiziell einen anderen aktuellen Schachweltmeister. Im folgenden Beitrag schildert ein Schachexperte die Situation und weist auf die allgemeine Problematik im Spitzenschach hin. Über die Schacholympiade auf Mallorca wird Toni demnächst berichten. Herbert Lang Kramnik bleibt Schach-Weltmeister - von Dirk Poldauf Der Russe besiegt in der letzten Partie den Ungarn Peter Leko - Reformen gegen die Langeweile Nach knapp vier Stunden Spielzeit gab Wladimir Kramnik gestern in Brissago/Schweiz kurz vor 19 Uhr das entscheidende Schach mit dem Springer. Herausforderer Peter Leko (Ungarn) sammelte sich noch einige Sekunden und gab wegen des unparierbaren Matts in zwei Zügen die Partie auf. Der 29 Jahre alte, nervenstarke Russe, der den Titel erstmals 2000 erobert hatte, stieß den rechten Arm in die Luft. Aus dem Auditorium erklangen Hochrufe auf den alten und neuen Weltmeister, dem das 7:7-Unentschieden zur Titelverteidigung reichte. Beide Großmeister teilen sich die WM-Börse von einer Million Schweizer Franken. Das Match spiegelt indes die gegenwärtige Krise im Spitzenschach wider. Bereits die diesjährigen Superturniere von Linares und Dortmund litten unter einer Vielzahl an langweiligen Partien. Viele der besten Spieler der Welt haben die Fähigkeit verloren, am Brett zu improvisieren. Insbesondere die Arbeit mit den Datenbanken, in denen Millionen von Partien gespeichert sind, und den immer leistungsfähiger werdenden Rechnern tötet nicht selten die Kreativität und die Lust am Risiko. Es geht vornehmlich darum, bereits im Vorfeld des Wettkampfes die Lücken im Eröffnungsrepertoire des Gegners ausfindig zu machen. Hat der Kontrahent auf den Überrumpelungsversuch das entsprechende Gegenmittel parat, wird oft schon nach wenigen Zügen die Friedenspfeife geraucht. In Brissago betraf dies etwa die Hälfte der vierzehn Partien. Es kam vor, daß Kramnik und Leko eine bereits gespielte Partie komplett kopierten und dann die Bühne verließen. Die Schachanhänger haben für derartige Aufführungen kein Verständnis. An der Basis brodelt es. Kramnik bringt auf kritische Nachfragen gerne ein Bild aus dem Fußball. Er sähe lieber ein 0:0 zwischen Frankreich und Italien als ein torreiches Zweitligaspiel. Doch das sicherheitsbetonte Geschiebe zwischen ihm und Leko erinnerte über weite Strecken an den Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Österreich bei der WM 1982 in Spanien. Die großen Zweikämpfe der Vergangenheit wie Spasski-Fischer, Karpow-Kortschnoj oder Karpow-Kasparow lebten immer auch von den persönlichen Konflikten zwischen den Akteuren und im politischen Umfeld. Kramnik und Leko hingegen sind miteinander befreundet, haben mit dem Dortmunder Carsten Hensel denselben Manager und wohnten während des Matches im selben Hotel. All das dürfte der sportlichen Aggressivität am Brett etwas abträglich gewesen sein. Es sind dringend Reformen nötig. Da Profis wie Kramnik und Leko durch und durch pragmatisch eingestellt und einzig auf den sportlichen Erfolg ausgerichtet sind, helfen nur Zwangsmaßnahmen. Joel Lautier (Frankreich), Präsident der Spielergewerkschaft ACP (Association of Chess Professionals), verkündete in Brissago bereits eine Änderung des Reglements für zukünftige WM-Kämpfe. Remisangebote vor dem 40. Zug sollen verboten werden. Die Schachwelt ist seit 1993 gespalten. Der aktuelle Champion des Weltschachbundes FIDE, der seine Wettbewerbe mit einer deutlich kürzeren Bedenkzeit austrägt, ist der Usbeke Rustam Kasimdshanow. Er tritt im Januar 2005 in Dubai gegen Garri Kasparow (Rußland) an. Der Sieger dieses Wettkampfes soll dann im Duell gegen Kramnik den einzigen Weltmeister ermitteln.