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Info-Mail Schach Nr. 495


FIDE WM 2005 - Schlussbericht

Einer, der immer gewinnen will: Der Bulgare Topalow ist neuer
Schach-Weltmeister
(Von Stefan Löffler - Hamburger Abendblatt - 15. Oktober 2005)

Wie Wesselin Topalow sich in der vorletzten Runde der Schach-WM vorzeitig
den Titel des Weltmeisters sicherte, trug die Handschrift des unermüdlichen
Kämpfers. Als der Inder Viswanathan Anand am Nebenbrett einen zunächst
spektakulären Angriff gegen Alexander Morosewitsch mit einem Damenopfer zum
Remis durch ewiges Schach führte, stand nach etwas mehr als drei Stunden
fest, daß dem Bulgaren ein halber Punkt zum Turniersieg genügte. Dabei hatte
Topalow mit den schwarzen Steinen gegen Rustam Kasimdschanow seine schwerste
Partie in diesem Turnier durchzustehen. Dem Usbeken gelang es als einzigem,
ihn über mehr als nur einige Züge unter Druck zu setzen und ihm einen Bauern
abzunehmen. Als Kasimdschanow in Zeitnot eine kaum merkliche Ungenauigkeit
unterlief, ging Topalow von der Defensive zum Gegenangriff über: Er
überraschte alle durch die Aufgabe eines Turms für einen weniger wertvollen
Läufer.
Hier war kein auf Absicherung bedachter Kleingeist am Werk, sondern ein Mann
mit einer Mission, die Gewinnen heißt. Die Kommentatoren brauchten eine
Weile, um zu begreifen, daß es an Kasimdschanow war, Verteidigungszüge zu
finden, um noch ein Remis zu erreichen. Vor der letzten Runde in der Nacht
zum Sonnabend konnten die jeweils eineinhalb Punkte zurückliegenden Anand
und Peter Swidler (Rußland) Topalow nicht mehr einholen. Sein Sieg wird ihm
mit 300 000 US-Dollar vergütet. Zudem rückt er in der Weltrangliste an dem
führenden Anand vorbei.
Betont bescheiden äußerte sich der 30jährige über seinen Turniersieg: "Bitte
vergleichen Sie mich nicht mit Bobby Fischer oder Gari Kasparow", bat er,
"ich würde nicht einmal behaupten, daß ich meinen Konkurrenten hier
überlegen bin. Ich bin nur gerade jetzt in guter Form, das ist alles." Das
hatte der in Rise an der rumänischen Grenze geborene und seit zehn Jahren in
Spanien lebende Großmeister in diesem Jahr bereits durch erste Plätze in
Linares (Spanien) und Sofia unterstrichen. Sein Plus: Er hat viel mehr
Energie als die anderen. "Das war schon äußerlich im Vergleich mit seinen
Rivalen Swidler und Anand zu sehen", beobachtete der WM-Finalist von 1993,
Nigel Short, der die Spiele in Argentinien live kommentierte. Anstelle eines
der attraktivsten Turniere der Schachgeschichte, so Short, in dem fast die
Hälfte der Partien einen Sieger hatten, habe er mehr Sicherheitsvarianten
erwartet, aber Topalow habe das Tempo vorgegeben.
Daß der Bulgare im Moment der stärkste Spieler ist, steht außer Zweifel. Um
als Weltmeister anerkannt zu werden, muß er nicht den in San Luis fehlenden
Russen Wladimir Kramnik schlagen, der auf Grund zuletzt schwacher Leistungen
von vielen bereits abgeschrieben wird, aber weiter auf seinen von Kasparow
übernommenen inoffiziellen WM-Titel pocht. Doch Topalow wünscht sich, "daß
alle Probleme am Brett gelöst werden". Mit der vom Weltschachbund FIDE
signalisierten Zustimmung sei er zu einem Titelzweikampf gegen Kramnik
bereit. Dessen Manager, der Dortmunder Carsten Hensel, hat in Argentinien
mit Topalows Entourage erste Gespräche geführt.

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