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Info-Mail Schach Nr. 636


Das Duell Mensch gegen Maschine - Kramnik gegen Deep Fritz
Partie 2: Katastrophe für Kramnik (Quelle:
www.chessbase.de/)

In der zweiten Partie zeigte sich Kramnik menschlich, allzu menschlich.
Genau wie sein menschlicher Kontrahent zog Deep Fritz in seiner ersten
Weißpartie 1.d4. Kramnik entgegnete 1...d5 und es kam zu einer modernen
Variante des Angenommenen Damengambits, was zu einer strategisch
anspruchsvollen Stellung führte. Doch Kramnik behandelte die Stellung
hervorragend, kam durch umsichtiges Spiel in Vorteil und lehnte sogar ein
"stilles" Remisangebot des Computers ab, indem er einer Zugwiederholung
auswich. Doch dann unterlief Kramnik ein unglaublicher Fehler: In einer für
ihn vorteilhaften Stellung ließ Kramnik Komplikationen zu, in denen er sich
verrechnete. Das brachte ihn augenscheinlich aus dem Gleichgewicht und dem
sonst so sicher spielenden Weltmeister unterlief der vielleicht schlimmste
Fehler seiner Karriere: Er ließ sich ohne in Zeitnot zu sein einzügig
mattsetzen und verwandelte so eine mögliche Glanzleistung innerhalb von
wenigen Minuten in eine Katastrophe.

Während Kramnik in der ersten Partie aus der Eröffnung schnell ins Endspiel
übergehen konnte, kam es in der zweiten Partie zu einer komplizierteren
Stellung. Doch Kramnik schien zu wissen, was er tat, denn wie in der ersten
Partie
verbrauchte er in der Eröffnung sehr viel weniger Zeit als Deep Fritz.
Auch der Übergang von der Eröffnung ins Mittelspiel gelang Kramnik gut und
laut Kommentator Yasser Seirawan kam Kramnik leicht zu Ausgleich. Wie in der
ersten Partie spielte Kramnik selbstbewusst und schnell und verbrauchte in
der Eröffnung sehr viel weniger Zeit als der Computer.Nach

1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4 b5 4.a4 c6 5.Sc3 b4 6.Sa2 Sf6 7.e5 Sd5
8.Lxc4 e6 9.Sf3 a5 10.Lg5 Db6 11.Sc1 La6 12.De2 h6 13.Le3 Lxc4
14.Dxc4 Sd7 15.Sb3 Le7 16.Tc1 0-0 17.0-0 Tfc8 18.De2

spielte Kramnik mit

18...c5

den strategisch angezeigten Zug, der die Stellung allerdings taktisch machte
und so dem Computer gute Möglichkeiten gab. Nach

19.Sfd2

dachte Kramnik, der bislang recht schnell gespielt hatte,
erstmals länger nach. Denn wie GM Klaus Bischoff meinte: "Dies ist die
Phase, in der Kramnik jeden Zug auf die Goldwaage legen muss."
Am Ende seines langen Nachdenkens kam Kramnik zu dem Schluss, dass

19...Dc6

laut Klaus Bischoff "ein rotzfrecher Zug", die beste Möglichkeit war. Mit

20.Dh5

brachte Deep Fritz die Dame zum Angriff gegen den schwarzen König in
Stellung und immer mehr taktische Möglichkeiten tauchten auf.
Doch Kramnik zeigte sich auf der Höhe. Er umschiffte mit

20...Dxa4 21.Sxc5 Sxc5 22.dxc5 Sxe3 23.fxe3 Lxc5 24.Dxf7+ Kh8
25.Df3 Tf8 26.De4 Dd7

geschickt alle taktischen Fallen und erreichte eine Stellung, in der Schwarz
durch
seine langfristigen strukturellen Vorteile auf eine schöne Zukunft hoffen
konnte, falls es ihm gelingen würde, seine Stellung zu konsolidieren.
Großmeister Arthur Yussupow sah Kramnik nach ...Dd7 bereits außer Gefahr und
auch Yasser Seirawan gefiel die schwarze Stellung zunehmend. Wenn es Schwarz
gelingt, die weißen Figuren in Schach zu halten, dann hat er mit seiner
Mehrheit am Damenflügel die Möglichkeit, einen gefährlichen Freibauern zu
bilden und Weiß in Bedrängnis zu bringen. In jedem Fall schien Kramnik mit
seiner Stellung zufrieden. So sehr sogar, dass er nach

27.Sb3 Lb6 28.Tfd1 Df7 29.Tf1 Da7

einer möglichen Zugwiederholung aus dem Wege ging.
Mit 29...Dd7 hätte Schwarz Zugwiederholung anbieten können.
Aber kurz nachdem Arthur Jussupow im Kommentatorenraum erklärte: "Für
Kramnik läuft die Partie wunderbar" verblüffte Kramnik Zuschauer und
Experten, indem er sich auf riskante Verwicklungen einließ. Nach

30.Txf8+ Txf8 31.Sd4 a4 32.Sxe6

revidierte Jussupow auch seine vorherige Einschätzung und meinte:
"Diese Entwicklung gefällt mir überhaupt nicht für Schwarz.
Aber vielleicht hat Schwarz etwas übersehen"
Diese Aussage erwies sich als prophetisch. Nach den weiteren Zügen

32...Lxe3+ 33.Kh1 Lxc1 34.Sxf8

hatte Kramnik einen vollkommenen Blackout und ließ sich nach

34...Df7 35.Dh7#

einzügig matt setzen. Der vielleicht schlimmste Fehler in der Laufbahn des
Weltmeisters.
(Absolute Remisstellung nach 34. - Kg8 anstatt Df7)

Es fällt schwer sich daran zu erinnern, wann ein Weltmeister sich in einem
bedeutenden Wettkampf hat matt setzen lassen. Dass Kramnik dieser Fehler
nach einer hervorragend gespielten Partie, in der sehr viel kompliziertere
taktische Drohungen souverän pariert hatte, unterlaufen, zeigt, wie
unangenehm es für die Menschen ist, gegen eine Maschine zu spielen, denen
solche Fehler eben nie passieren. Man kann nur hoffen, dass der Weltmeister
durch diese Niederlage nicht allzu sehr erschüttert wird und sich in der
dritten Partie am Mittwoch wieder gefangen hat.

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