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Info-Mail Schach Nr. 731


Schach-Meko: Bericht WM Mexiko 2007 (1)Schach-WM in Mexiko (13.-30.09.2007)

"Puppenspieler von Mexiko" nur Marionetten des Weltverbandes
Sonderbares WM-Reglement begünstigt Titelverteidiger Kramnik /
Inder Anand gilt als Topfavorit
(von Hartmut Metz - 13.09.2007)

Wladimir Kramnik darf die Schach-WM in Mexiko City gelassen angehen. Selbst
wenn der Weltmeister bei dem mit 1,3 Millionen US-Dollar dotierten Turnier
Letzter wird, kann er anschließend seinen Titel in einem Zweikampf
zurückholen. Diese neue Form des "Revanchekampfs" kreierte einmal mehr der
Schach-Weltverband FIDE.
Der Frust der sieben anderen Teilnehmer fällt entsprechend aus. "Das ist
natürlich unfair. Ich habe es aber aufgegeben, mich über die FIDE
aufzuregen", klagt der Weltranglistenerste Viswanathan Anand. Da der
Weltverband "ständig seine eigenen Regeln über den Haufen wirft", hält sich
der genervte Inder inzwischen fern von allen schachpolitischen Grabenkämpfen
und "spielt nur noch". Der Topfavorit müsste sich ansonsten über weitere
Eigenheiten des neuen WM-Systems ereifern und wie eine Marionette der FIDE
fühlen.
Der kalmückische FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow hat nämlich weiteres
Sonderbares ersonnen: Sollte Kramnik in Mexiko doch nach 14 Runden vorne
liegen, gerät dem Russen das Reglement sogar zum Nachteil. Der
Weltranglistenzweite muss dann gegen den gleichauf liegenden Wesselin
Topalow ein Match austragen. Der Bulgare hatte die WM-Titelvereinigung vor
einem Jahr gegen Kramnik verloren. Dabei war es zu niederträchtigen
Beschuldigungen in der "Toiletten-Affäre" gekommen. Topalow hatte seinem
Kontrahenten verdächtigt, mit Computer-Hilfe auf dem Klo zu bescheißen.
Und weil Topalows Manager Silvio Danailow der FIDE mit einer Millionenklage
gedroht hatte, bleibt sein Schützling auch im Spiel, wenn Kramnik nicht
Erster in Mexiko wird. Topalow trifft dann auf den Sieger des Weltcups, der
Ende 2007 ausgetragen wird. Der Gewinner dieses Zweikampfs fordert
anschließend den amtierenden Weltmeister. Reichlich verwirrend, selbst für
Denkstrategen. Klar ist nur, dass sich zumindest die hiesigen Schach-Fans
freuen dürfen: Kramniks WM-Zweikampf - die Revanche gegen den Sieger des
heute beginnenden WM-Turniers oder Topalow - soll in Deutschland
stattfinden.
Als stärkste "Puppenspieler von Mexiko" werden Kramnik und Anand ganz vorne
gehandelt. Die vor zwei Jahren zurückgetretene Legende Garri Kasparow
"favorisiert klar" den "Tiger von Madras". Der Weltranglistenerste vom
deutschen Meister OSC Baden-Baden gilt als erfolgreicherer Turnierspieler,
während Kramnik in Zweikämpfen kaum zu schlagen ist. Der Weltmeister
verliert zwar kaum eine Partie, remisiert aber auch sehr häufig. Das könnte
ihm in den 14 Partien in der Millionen-Metropole zum Verhängnis werden.
"8,5:5,5 Punkte könnten zum Titel reichen", gibt der 32-Jährige jedoch für
sich zu bedenken und führt als Begründung das "dicht beieinander liegende
Feld" an, in dem "keiner abfällt oder zusammenbrechen wird. Am Schluss
werden den Ersten und den Letzten nicht viel trennen". Ähnlich argumentiert
Anand, der Kramnik eine "leichte Favoritenrolle" zuschiebt.
Der Titelverteidiger hat außer dem 37-jährigen Inder zudem Peter Leko auf
der Rechnung. Der Ungar war ihm 2004 erst in der WM-Verlängerung in Brissago
(Schweiz) hauchdünn unterlegen. Außerdem sei "Lewon Aronjan sehr
gefährlich", und sein Landsmann Alexander Grischuk werde "unterschätzt". Den
Moskauer, der inzwischen mehr Poker als Schach spielt, halten die anderen
Experten allerdings kaum für gut genug im Kampf um den Löwenanteil der 1,3
Millionen Dollar. Dies gilt ebenso für den meist zu zahmen Peter Swidler,
den zu wankelmütig agierenden Weltranglistenfünften Alexander Morosewitsch
(beide Russland) sowie Boris Gelfand (Israel).
Der in Berlin lebende Armenier Aronjan traut sich dagegen zu, den letzten
fehlenden Titel in seine Sammlung zu integrieren. Der Weltcup-Sieger "kennt
keine Favoriten - außer mich selbst". Ansonsten denke er nicht über die
Chancen der anderen nach, sagt der einst kurzzeitig für Deutschland
spielberechtigte 24-Jährige, und will bis zum letzten Zug am 29. September
"nur gut spielen". Das zumindest kann die FIDE noch durch kein WM-Reglement
verhindern.

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