nächste Ausgabe vorherige Ausgabe Übersicht
Newsletter abonnieren

Uwe Mueller: Ein Blinder spielt Fernschach per E-Mail

Quelle: Newsletter des DESC (Deutscher E-Mail Schachclub)
Schachfreund Josef Schmitz bat mich vor längerem, einen Bericht für
den Newsletter des DESC zu verfassen. Zuvor möchte ich mich kurz
vorstellen: Mein Name ist Uwe Müller, bin 47 Jahre alt, ledig, seit ca.
7 Jahren fast blind und wohne im Südwesten, am Oberrhein beim
Dreiländereck bei Basel.
Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal ins Internet kam, fand ich
beim Stöbern auch die Homepage vom DESC (Deutscher E-Mail
Schachclub) und legte sie zu den Favoriten. Weil ich mich beim Surfen
und E-Mails noch nicht so auskannte, wollte ich erstmal abwarten. Ich
hatte ja zu dieser Zeit bereits einige Fernschach-Turniere beim DBSB
(Deutscher Blinden- und Sehbehinderten-Schachbund e.V.) am Laufen.
Erst in diesen Tagen, als ein Schachfreund das für sich entdeckte,
erwachte wieder mein Interesse. Er meldete sich an, spielte die
Probepartie und hat inzwischen 2 Turniere am Laufen.
Zu Beginn hatte er die gleichen Schwierigkeiten wie es so vielen
anderen auch ergehen dürfte, nämlich das Ganze in die richtige Form
zu bringen, insbesondere die Berechnung der Bedenktage.
Um das zu erleichtern, empfahl man ihm einige Hilfs-Programme. Die
habe ich, als sein PC-Lehrer, getestet und musste leider feststellen, dass
sie für uns blinde PC-Benutzer nicht zu gebrauchen waren, weil sie
Maus-orientiert sind. Wir benutzen nur die Tastatur und eine
Sprachausgabe mit Blindenschriftunterstützung, Braille-Zeile genannt
und können alles erfassen, was in Text vorhanden ist.
Nach einigen Möglichkeiten, die wir durchgegangen sind, kam ich auf
die Idee, ihm ein Programm in QBasic zu schreiben. Nach anfänglichen
Problemen wurde es immer besser und inzwischen dürfte es recht gut
funktionieren.
Mein System beruht darauf, für jede Partie eine TXT-Datei zu erzeugen,
sie in ein Mail einzufügen und zu versenden.
Man benutzt für jedes Turnier einen eigenen Ordner mit dem Namen
"Fernschach" und dem Namen des Turniers, z.B. "Fernschach - V0123"
In ihm befinden sich alle notwendigen Dateien und der Ordner "Beginn",
in dem ein separates Programm enthalten ist, das für den Beginn eines
Turniers gebraucht wird, um alle TXT-Dateien mit allen  Turnier-Daten
einmal zu erzeugen, die man vom Turnierleiter bekommt.
Bei einem SE-Turnier werden im Ordner "Beginn" 6 Dateien erstellt
und in den Überordner "Fernschach - V0123" kopiert, die dann für das
laufende Turnier verwendet werden.
Wegen des alten DOS war ich gezwungen, den Dateinamen auf 8
Zeichen zu begrenzen. Deshalb entschied ich mich, die Dateinamen
mit "P"+Begegnungs-Nr.+".txt" zu benennen, z.B. "P07.txt". Zum
Aufrufen benutze ich alte BAT-Dateien, die problemlos funktionieren.
Wenn jetzt eine Mail eines Gegners eintrifft, hole ich mir seinen Zug
und die beiden Tage seiner Bedenkzeit. Zusammen mit der
Begegnungs-Nr. und meinem Zug habe ich nun alle Daten, die ich in
die Datei "zd.txt" wie folgt einzutragen habe.
Zum Beispiel:
*******
07
12. Tac1
12... Dc7
1819
*******
Die vierte Zeile bezieht sich auf die beiden Bedenk-Tage von:
(Deine Bedenkzeit: 09/18 - 09/19, +1/7)
Vor kurzem hatte ich noch 8 Ziffern, erkannte aber, dass es immer der
laufende Monat ist. Selbstverständlich habe ich den Monatsumbruch,
z.B. 3001, berücksichtigt.
Mein Programm erstellt aus diesen 4 Zeilen die 2 ja wiederkehrenden
 Zeilen "Mein und Dein Zug", "Meine und Deine Bedenktage", die
Gesamttage  und die gesamte pflichtgemäße PGN, sowie am Ende
nach einer Leerzeile ein "Hallo Gustav", falls der Gegner Gustav heißt.
Jetzt muss man nur noch die Datei "P07.txt" in ein Mail einfügen und
an Gustav schicken.
Als drittes Programm ist es mir vor kurzem gelungen, aus der PGN
ein Diagramm für uns Blinde in eine Datei zu schreiben, damit man
nach dem ca. 15 Zug die Partie nicht immer nachspielen muss. Darauf
bin ich besonders stolz, da ich vor vielen Jahren damit gescheitert bin.
Weil auch ich zu denen gehöre, die die Sache mit den Bedenktagen
schwierig fanden, konnte ich mich erst durch mein System durchringen,
beim DESC mitzumachen. Bisher spielte ich E-Mail-Fernschach nur
mit Freunden. Bei diesen Freundschafts-Partien gab es nur eine
Kopf-Zeile und die Züge in deutsch untereinander. Auch bei 2 Partien
schickten wir nur ein Mail, und das unregelmäßig.
=> Wer es möchte, dem stelle ich gerne mein System kostenlos zur
Verfügung!
Seit wir mit unseren Sprach- und Braillesystemen auf das Internet und
die E-Mails zugreifen können, bekamen wir sehr großen Zugang zu
vielen, nur nicht zu grafischen Informationen, die wir früher eben nicht
hatten.
Gerade das Spiel per E-Mail hat eine ganz besondere Eigenschaft:
Hier können Blinde und Sehende gleichberechtigt miteinander
kommunizieren.
=> Wir Blinde wollen in der Regel weder benachteiligt noch bevorzugt
werden!!
Nachdem ich meine Mitglieds-Nr. bekam, meldete ich mich für mein
erstes Turnier an. Mit den Internet-Seiten des DESC bin ich ohne
größere Probleme gut klargekommen. Um mir einen guten Eindruck
zu verschaffen, nahm ich gleich an einem SE - Turnier teil, um viele
Mitspieler kennenzulernen.
Bin mit den fünf Kameraden und einer Kameradin bis jetzt recht gut
zufrieden. Wie früher schreiben einige viel, so einiges und manche
nichts. Einige würden 2-5 Züge pro Tag schicken, andere 2-3 pro
Woche. Weil ich es gerne regelmäßig habe, mache ich 1-2 Züge pro
Tag. Habe auch meinem Turnierleiter ein Mail mit kleinen Problemen
geschickt, und er konnte mir dabei recht gut helfen. Mein Spielbetrieb
läuft jetzt nach der Eingewöhnungszeit reibungslos.
Die Möglichkeit, sich recht viele verschiedene Turniere auszusuchen,
ist sehr gut. Die Vielfältigkeit von allen Altersklassen, Geschlechtern,
Regionen und einigen Blinden finde ich belebend und faszinierend.
Falls sich mit der Zeit genügend Blinde anmelden, wäre im DESC eine
zum Beispiel ein Mannschaftskampf mit dem Deutschen Blinden -
Schachbund oder mit ähnlichen Teams aus dem Ausland gut denkbar.
Der DBSB hat sein eigenes Fernschach, aber eben nicht per E-Mail.
Im Verhältnis zu Sehenden gibt es nicht viele Blinde mit Internet und
E-Mails. Doch dies dürfte sich  im Laufe der Zeit etwas verbessern.

zurück zur Startseite

© 1998 - 2015 by Anton Lindenmair, Augsburg