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Info-Mail Schach Nr. 1057


Schach-WM (Sofia, 21.04.-12.05.2010)

Ein Bericht zum WM-Auftakt mit Notation der 1. Partie
von FM Hartmut Metz (26.04.2010)
Brillanter Topalow zertrümmert schwarze Königsfestung
Bulgaren bejubeln Schach-Nationalhelden / Weltmeister Anand sucht nach
Auftaktschlappe keine Ausreden

Die bulgarischen Schachfans bejubelten ihren Star: Wesselin Topalow
zertrümmerte beim WM-Auftakt am Samstag in Sofia Titelverteidiger
Viswanathan Anand in nur 30 Zügen. Tosender Applaus brandete im Zentralen
Militärklub auf, als der Weltmeister nach dem dritten Opfer des
Herausforderers aufgab. So verlor der 40-Jährige selten - vor allem
benötigte der "Schnelle Brüter" aus Indien mit 93 Minuten mehr als doppelt
so viel Bedenkzeit wie der sonst so bedächtig kalkulierende Topalow.
In der zweiten von maximal zwölf Partien strebte Anand gestern mit "eigenem
Aufschlag", den weißen Steinen, umgehend den Ausgleich an. Als Ausrede für
die bittere Schlappe mochte der Verlierer nicht seine beschwerliche Anreise
nach Sofia nutzen. Wegen der isländischen Vulkanasche war er nur dank einer
40-stündigen Autofahrt von Frankfurt aus rechtzeitig auf den Balkan gelangt.
Der indische Schachverband hatte danach zwar eine dreitägige Verschiebung
gefordert, der Schach-Weltverband FIDE verlegte das erste Duell aber nur von
Freitag auf Samstag. "Daran lag es nicht. Ich spielte einfach schlecht",
streute Anand nach dem Debakel selbstkritisch Asche aufs eigene Haupt.
Bei der merkwürdigen Eröffnungsfeier, in der alle eine Rede des bulgarischen
Premierministers Bojko Borrisow erwarteten, tauchte unvermittelt die
Bodybuilding-Ikone Ronnie Coleman (achtfacher Mr. Olympia) auf. Fast eine
halbe Stunde später als Anand folgte der schmale Topalow, setzte sich,
füllte wortlos sein Partieformular aus und rückte seine 16 Figuren auf dem
Brett zurecht. Nachdem Coleman den beiden in Spanien lebenden Großmeistern
die Hände geschüttelt hatte, stieß Schirmherr Borrisow für den
Nationalhelden den Damenbauern zwei Felder nach vorne. Das Spiel entwickelte
sich rasch, weil beide einem Duell des Bulgaren folgten, das jener beim
Herausforderer-Match gegen Gata Kamsky (USA) gewagt hatte.
Im 16. Zug wich Anand als Erster mit einem Damenzug ab. Doch sein Kontrahent
zeigte sich glänzend vorbereitet und folgte einer Idee der beiden
Nachwuchsstars Sergej Karjakin (Russland) und Magnus Carlsen (Norwegen), der
eine jüngster Großmeister aller Zeiten, der andere Weltranglistenerster vor
den beiden WM-Kontrahenten. Als Schwarz im 23. Zug mit einem Königszug ein
schwerer Fehler unterlief, durchschlug Topalow mit einem Springeropfer die
Deckung. Die nächsten Angriffszüge kamen ebenfalls wie aus der Pistole
geschossen. Am Ende der erfolgreichen Königshatz hatte der 35-Jährige nur 40
Minuten seiner zwei Stunden Bedenkzeit verbraucht. Ein Indiz, dass er all
dies bereits zu Hause mit seinen Sekundanten und Computern analysiert
hatte - Topalow wollte dies jedoch nicht bestätigen. Anand murmelte dagegen,
er habe "die Züge durcheinandergebracht". Ein Läuferzug nach d7 statt des
fatalen Königszugs hätte die Opferorgie verhindert.
Der Sieger des Duells über zwölf Partien erhält 1,2 Millionen Dollar. Der
Verlierer muss sich mit 800.000 Euro bescheiden. Sollte es 6:6 stehen, folgt
am 13. Mai eine Schnellschach-Verlängerung. Vor dem ersten Zug hatte der
Weltmeister wegen der abgesagten Flüge eine Odyssee erlebt: Um nach seinem
verhängnisvollen Zwischenstopp in Frankfurt überhaupt nach Sofia zu
gelangen, hatte seine Gattin Aruna in den Niederlanden zwei Privatfahrer
eines VIP-Services angeheuert. Die Transporter steuerten über Österreich,
Ungarn und Rumänien dem Ziel entgegen. Die kürzeste Route über Belgrad blieb
dem Weltranglistendritten und seinen Sekundanten verwehrt, weil Serbien im
Gegensatz zu Rumänien von Indern ein Visum fordert. Am Schlagbaum in
Bulgarien wurde der Schach-Weltmeister um Mitternacht sofort von den
Zöllnern erkannt und begrüßt. Als der schwarze Mercedes Sprinter rund 100
Kilometer vor Sofia in einer 50er-Zone 74 km/h raste, stoppte die Polizei
die Delegation. Der holländische Verkehrssünder erklärte kurz, wen er an
Bord hatte, wonach der freundliche Offizier sie lachend entließ: "Gut,
fahren Sie Anand nach Sofia - aber nicht zu schnell bitte!" Nach Topalows
furiosem Auftaktsieg muss der Beamte vorerst keine Dienstaufsichtsbeschwerde
fürchten.

1. Partie (Grünfeld-Indisch)
Weiß: Wesselin Topalow (Bulgarien) - Schwarz: Viswanathan Anand(Indien) 1:0
1.d4 Sf6; 2. c4 g6; 3. Sc3 d5; 4. cxd5 Sxd5; 5. e4 Sxc3; 6. bxc3Lg7; 7. Lc4
0-0; 8. Se2 c5; 9. 0-0 Sc6; 10. Le3 Sa5; 11. Ld3 b6; 12.Dd2 e5; 13. Lh6
cxd4; 14. Lxg7 Kxg7; 15. cxd4 exd4; 16. Tac1 Dd6; 17.f4 f6; 18. f5 De5; 19.
Sf4 g5; 20. Sh5+ Kg8; 21. h4 h6; 22. hxg5hxg5; 23. Tf3 Kf7; 24. Sxf6 Kxf6;
25. Th3 Tg8; 26. Th6+ Kf7; 27. Th7+Ke8; 28. Tcc7 Kd8; 29. Lb5 Dxe4; 30.
Txc8+ Aufgabe

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