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Info-Mail Schach Nr. 1402


Echolot: Das Schach der Blinden
(Quelle: Zeitschrift Schach Nr. 4/2014)

Im Reich der Blinden
Mehr als ein Erlebnisbericht von einem ungewöhnlichen Turnier
Von Dr. Michael Negele

Ein Auge schon macht glückselig im Reich der Blinden, sagt ein indisches(?) 
Sprichwort, dessen landläufige Entsprechung den Einäugigen zum König unter 
den Blinden erhebt. Ihrem Autor, den das Phänomen "Blindschach" seit 
Jahrzehnten fasziniert, bot sich beim vierten Baltic Sea Braille Chess Cup 
im Herbst vergangenen Jahres im Aura-Hotel in Timmendorfer Strand die 
Gelegenheit zum Kiebitzen bei blinden und stark sehbehinderten 
Schachspieler(inne)n. Durch das hautnahe Erleben sah ich mich veranlasst, 
Ihnen ein Bewusstsein für jene gravierende Einschränkung zu vermitteln, die 
das Königreich auf 64 Feldern in Dunkelheit taucht. Damit sei der Anspruch 
erhoben, einen Überblick über das Schach der Blinden zu bieten, aber auch 
mein Respekt für deren Leistung bezeugt.

Erstaunlicherweise wurde das Schach "ohne Ansicht des Brettes" bereits im 
achten nachchristlichen Jahrhundert geschätzt. Die englischen 
Schachhistoriker David Hooper und Ken Whyld postulierten in The Oxford 
Companion to Chess, dass dabei anfänglich die Augen mit einer Binde verdeckt 
und die Figuren auf dem Brett ertastet wurden.
Bis ins 15. Jahrhundert war Blindschach in der arabischen Welt weit 
verbreitet, dies ließ sich beim Zusammentragen einer historischen 
Betrachtung der Blindsimultan-Rekorde anhand der umfänglichen 
Dissertationsarbeit von Reinhard Wieber nachvollziehen. Dort stößt man auf 
den dunkelhäutigen Meister Said Ibn Gubair (665-714), der ohne Augenbinde 
und Berührung des Brettes "Blindschach spielte, indem er (vom Brett 
abgewandt) angab, mit welcher Figur er ziehen (wolle), und sagte: >Mit 
dieser<." Angeblich hatte Ibn Gubair im Kerker seine Fertigkeit verfeinert, 
später wurde ihm jedoch vorgeworfen, diese Kunst mittels eines kleinen 
Spiegels, also betrügerisch, auszuüben. Die Spielweise wurde als "mit dem 
Rücken zum Brett" bezeichnet, selbst das Blindsimultan war unter den 
damaligen Meisterspielern bereits geläufig.
Dies belegt das Zitat eines zeitgenössischen Chronisten von 1329, das von 
einem der bekanntesten Schachspieler seiner Zeit namens Nizam al-Agami 
berichtet. Dieser spielte in Damaskus an zwei Brettern blind und an einem 
dritten sehend. Schon damals erfolgte ein "Ranking" in sechs Kategorien, je 
geringer die Spielstärke, desto zahlreicher die Anzahl von Spielern dieser 
Klasse. Zwischen den Leistungsstufen waren die Vorgaben streng geregelt: Wer 
von einem erstklassigen Meister eine Springervorgabe erhielt, dem war ein 
hinreichend gutes Spielverständnis zugewiesen. Es wurde auch überliefert, 
dass jener Nizam al-Agami es ablehnte, gegen einen blinden Schachspieler 
namens Aladdin al-Qairan anzutreten: "Dieser Blinde gehört zur höchsten 
Klasse, ich gehöre zur höchsten Klasse als Sehender. Wenn ich ihn besiege, 
wird mich niemand loben, sondern man wird sagen: "Er hat (nur) einen Blinden 
besiegt. Besiegt er mich, dann ist es (für mich) ein großes Unglück." Ihm 
war bekannt, dass al-Qairan "als Soldat erblindet war und sich in Ägypten 
mit erstklassigen Schachspielern gemessen und diese besiegt hatte".
Dieses Zitat belegt, dass ein blinder Meisterspieler damals durchaus 
befähigt war, die höchste Kategorie zu erreichen und wie hoch sein sehender 
Konkurrent diese Leistung einschätzte. Den enormen Einfluss des 
andalusischen (also arabischen) Schachs auf der iberischen Halbinsel im 12. 
Jahrhundert überlieferte - laut Wieber - ein Manuskript von Abu-l-Abbas Ibn 
Juraij, Zeitgenosse von as-Siqili (der Sizilianer), al-Yahudi (der Jude) und 
Ibn-an-Numan, die sich ebenfalls im Blindspiel profilierten. Im übrigen 
Europa soll sich als erster ein Sarazene namens Buzecca, der 1266 Florenz 
besuchte, mit zwei der führenden Schachspieler der Stadt im Blindspiel 
gemessen haben, ein drittes Spiel wurde sehend ausgetragen. Der Araber 
buchte zwei Gewinne und ein Unentschieden, man zollte ihm dafür größte 
Bewunderung. Erst knapp 500 Jahre nach Buzecca war François-André Danican 
Philidor (1726-1795) in der Lage, eine vergleichbare Leistung zu erbringen.

Der frühe englische Schachmeister George Walker (1803-1879) erwähnte im März 
1840 in Frazers Magazine in einem Artikel über Chess, without the 
Chess-Board den Griechen Jusuf Tchelebi, der im Jahre 1562 im syrischen 
Tripolis eine kuriose Blindpartie gespielt haben soll. Walker nennt 
fälschlich das Jahr 970 nach arabischer Zeitrechnung, was geflissentlich in 
der Schachliteratur - leider auch von Ihrem Autor - kolportiert wird. 
Bemerkenswert an der unorthodoxen Spielweise des Griechen war, dass er "mit 
verbundenen Augen das Brett und die Figuren ertasten durfte. Diese waren 
just zu diesem Zweck von ungewöhnlicher Größe gefertigt."

Wir springen um viele Generationen in das Jahr 2013 ins Aura-Hotel in 
Timmendorfer Strand und kiebitzen bei einer ungewöhnlichen 
Schachveranstaltung. Blinde Schachspieler benutzen aus praktischen Gründen 
meist recht kleine Steckschachs zum Turnierspiel. Ich konnte mich davon 
überzeugen, dass es hinsichtlich Figuren-und Brettgestaltung wahrhaft 
"kunterbunt" durcheinander geht. In der sich ab 1951 auf Initiative des 
Engländers Reginald Walter Bonham (1906-1984) - selbst blind und ein starker 
Schachspieler, als Mathematiklehrer an der Blindenschule in Worcester 
tätig - formierenden International Braille Chess Association (IBCA) wurde 
schon beim offiziellen Gründungskongress 1958 eine leidenschaftliche Debatte 
über die Vereinheitlichung des Spielmaterials geführt. So nutzten die 
Jugoslawen sehr große Bretter, die Figuren waren am Sockel gekennzeichnet. 
In Österreich, England und Irland waren die weißen, in Deutschland und der 
Sowjetunion die schwarzen Figuren gekennzeichnet. Einige Länder bevorzugten 
die Erhöhung der weißen, andere jedoch die der schwarzen Felder. Man war 
redlich um eine Harmonisierung bemüht: "Das Schachbrett soll mindestens 20 x 
20 cm groß, die Farbe der Felder deutlich erkennbar und die schwarzen Felder 
sollen erhöht sein. Die Figuren müssen dem Staunton-Modell entsprechen, 
wobei die schwarzen Steine besonders zu markieren sind." Solche Markierungen 
bestehen heutzutage zumeist in einem zusätzlichen Stecknadelkopf auf der 
Spitze der schwarzen Steine. Jeder blinde Spieler nutzt sein eigenes kleines 
Brett, offenbar einer Konvention folgend, sitzen beide Kontrahenten 
bisweilen vor den weißen Steinen. Während der ersten Runde des Baltic Sea 
Braille Chess Cup tappte ich prompt in das Fettnäpfchen, Turnierleiter 
Fritz-Günter Obert darauf aufmerksam machen zu wollen, dass in einer Partie 
beide Kontrahenten mit Weiß spielen...
Im Blindenschach gilt ein Spielstein erst dann als berührt und ist somit zu 
ziehen, wenn der Spieler diesen bewusst aus der Sicherungsöffnung 
herausnimmt. Bisweilen fällt eine Figur beim Abtasten um, bei solchen 
"Unfällen" gilt das J'adoube. Solches Zurechtstellen kommt häufiger vor und 
kann dazu führen, dass ein Stein auf ein falsches Feld gesetzt wird. Daher 
fordern Blindenturniere die stete Aufmerksamkeit der Turnierleitung und 
zudem die Fairness aller Teilnehmer in besonderer Weise.
Die sogenannte "Zweibrett-Regel" ermöglicht Partien zwischen blinden und 
sehenden Spielern. Die gespielten Züge werden angesagt und dann auf dem 
Steckschachspiel ausgeführt; der Sehende hat ein normales Schachbrett vor 
sich, auf das er den angesagten Zug überträgt. Die von ihm ausgeführten Züge 
sind ebenfalls zuerst anzusagen und danach auszuführen. Ein Problem bei 
dieser Prozedur ist die Übermittlung des aktuellen Zuges an den 
Gegenspieler. Obwohl die Zugansage im Regelwerk genau definiert ist, kommen 
Versprecher bzw. Hör- und Übertragungsfehler durchaus vor. Deutsch ist die 
internationale IBCA-Sprache, dabei werden die Vertikalen von links nach 
rechts mit folgenden Namen belegt: Anna, Bella, Caesar, David, Eva, Felix, 
Gustav, Hektor. Bei rein deutschen Paarungen vernahm ich bisweilen auch 
Anton, Bertha, Dora usw. Die Horizontalen werden von eins bis acht 
durchgezählt, die Steine tragen die üblichen deutschen Bezeichnungen König, 
Dame, Turm, Springer, Läufer und Bauer. Folglich heißt es auch "kurze" und 
"lange Rochade", für Nicht-Muttersprachler alles andere als einfach, 
Missverständnisse sind kaum auszuschließen. So wurde ich Zeuge eines 
Übermittlungsfehlers, was jedoch nur bei mir zu Verwirrung führte:

Stellung von Weiß (Helga Weißflog): Kg1, Dd4, Te1, Tg4, Lc1, Lh3, Ba2, f2, 
g3, h2 (= 10)
Stellung von Schwarz (Jan Zeeman): Kg8, Dd7, Tc3, Tc8, Sd5, Ba7, b7, e6, f7, 
g7, h7 (= 11)
Ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand und in Zeitnot verkehrend, stellte der 
Schwarze mit Sd5 nach f6 auch noch den Springer ein und wurde dieses 
Umstandes unmittelbar nach Ausführung seines letzten Zuges gewahr. Helga 
Weißflog jedoch sagte nun ausdrücklich "Dame schlägt Dame" an, Jan Zeeman 
indessen führte auf seinem Brett das befürchtete "Dame schlägt Springer" 
aus. Beide Spieler saßen vor einer unterschiedlichen Stellung und Schwarz 
gab eine "irreale" Partie auf! Der umsichtige Turnierleiter und das 
familiäre Verhältnis unter den Beteiligten ließen keinerlei Diskussion 
aufkommen.
Turnierschach ist eine der ganz wenigen Betätigungen, die von Blinden unter 
annähernd gleichen Wettbewerbs-Bedingungen ausgeübt werden können. Der 
schachliche Wettstreit mit Sehenden ist für sie eine ganz besondere Art der 
Zugehörigkeit, die ihnen beträchtlichen Selbstwert verschafft. Dabei besteht 
für den sehenden Kontrahenten scheinbar der Vorteil, frühzeitig zu erkennen, 
welche Steine bzw. Brettregion sein blinder Partner besonders intensiv 
betastet - und dadurch Rückschlüsse auf dessen Absichten zu ziehen. Mich hat 
es beeindruckt, mit welcher Intensität die blinden Teilnehmer ihre kleinen 
Bretter mit beiden Händen abtasteten. Es war mir mitunter kaum möglich, das 
jeweilige Stellungsbild vollständig zu erfassen. Viel einfacher wurde das 
Kiebitzen, wenn ein sehbehinderter Spieler beteiligt war, der an einem 
normalen Turnierbrett spielte.
Die Tastbewegungen blinder Schachspieler wurden Mitte der 60er Jahre in der 
Sowjetunion in der Arbeitsgruppe des Wahrnehmungs-Psychologen Oleg K. 
Tichomirow erstmals eingehend untersucht.
Die objektive Registrierung dieses "manuellen Denkens" erfolgte mittels der 
zyklographischen Methode. Der Versuchsaufbau war denkbar einfach: Dem 
rechten Zeigefinger der Versuchsperson wurde ein Metallring übergestreift, 
an dem ein Miniaturlämpchen befestigt war. Ein Fotoapparat zeichnete im 
Dunkeln über einen Zeitraum von 15 bis 30 Sekunden die Bewegungen des 
Lämpchens, und damit des tastenden Fingers auf. Dem Probanden war es nur 
erlaubt, mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zu tasten. Es erwies 
sich, dass die taktile Aktivität blinder Schachspieler eine 
Orientierungs-und Untersuchungstätigkeit ist, vergleichbar der Augenbewegung 
eines Sehenden. Es werden auch Felder ertastet, auf denen keine Figuren 
stehen, aber in der Vorausplanung zu stehen kommen.
Auch die Zeiterfassung während einer Turnierpartie erforderte für Blinde 
ursprünglich den Einsatz des Tastsinnes. So gibt es spezielle 
Braille-Schachuhren ohne Uhrglas, aber mit dem obligatorischen 
Fallblättchen, auf deren Ziffernblatt Punkte - alle fünf Minuten - und 
Striche - jede Viertelstunde - sowie tastbare Stunden- und Minutenzeiger 
eine "Ablesung" der verfügbaren Bedenkzeit ermöglichen. Diese bei den 
Blinden beliebten Modelle werden zunehmend durch digitale Schachuhren 
verdrängt, die mit einer Sprachausgabe versehen sind und mittels Ohrhörer 
abgehört werden. Dieses moderne Verfahren scheint sich durchzusetzen, hat 
aber auch Nachteile. Das Abhören ist aufwändig und kostet in Zeitnot 
wertvolle Sekunden, zudem lenkt der gesamte Vorgang den Spieler von der 
"Brettarbeit" ab.
Die Zugnotation stellt für erblindete Schachspieler ebenfalls eine 
beträchtliche Hürde dar, denn zur Zeitkontrolle ist eine eigenständige 
Ermittlung der Züge-zahl erforderlich. Die 1924 entwickelte Marburger 
Schachschrift wird heute nur noch selten benutzt. Dazu bedient sich der 
Blinde der Stechtafel: Mit dieser Schablone werden in vorgeprägter Form, die 
der Würfelsechs entsprechen, sechs Punkte zu sinnvollen Zeichen 
zusammengestellt. Zum Einsatz kommen auch Braille-Schreibmaschinen, die 
allerdings relativ viel Platz benötigen. In Timmendorfer Strand nahmen die 
meisten Spieler digitale Sprachaufzeichnungs-Geräte in Anspruch, was ich 
wiederum als etwas störend empfand. Viele der sehbehinderten Spieler waren 
um eine eigenhändige schriftliche Aufzeichnung bemüht, ein verständlicher, 
aber vielleicht "falscher" Ehrgeiz.
Die Zeitnotphase ist im Blindenschach eigens geregelt, in den letzten zehn 
Minuten entfällt die Aufzeichnungspflicht und der Turnierleiter darf helfend 
eingreifen. Das kann in wichtigen Wettbewerben oder bei Paarungen zwischen 
Blinden und Sehenden zu Schwierigkeiten führen, aber im vierten Baltic Sea 
Braille Chess Cup wurde nicht so erbittert gefochten, dass sich "Dramen" 
ereigneten. Im Gegenteil: Mich begeisterte die offen freundschaftliche 
Atmosphäre, in der die blinden und stark sehbehinderten Schachfreunde 
miteinander, aber auch mit mir umgingen. Bereitwillig wurden meine 
neugierigen Fragen nach dem persönlichen Schicksal und dem individuellen 
Zugang zum Schach in kurzen Interviews beantwortetet. Am Ende des Turnieres 
fühlte ich mich wie ein Mittler zwischen Hell und Dunkel!
Es verwunderte weder mich noch die übrigen Teilnehmer, dass der 
wertungsstärkste, aber auch jüngste Teilnehmer, der stark sehbehinderte 
Gymnasiast Mirko Eichstaedt (*1997) aus Stücken in der Nähe von Potsdam, 
nach seinem Überraschungserfolg 2011 erneut ungeschlagen auf Platz 1 
landete. Den Grundstein für diesen Erfolg legte er bereits in der dritten 
Runde mit einem schwungvollen Finale gegen Mitfavorit Peter Ellinger 
(Hannover, *1958).

Stellung von Weiß (Mirko Eichstaedt): Kg1, De3, Tb1, Sg5, Bd4, e5, f2, g2, 
h4 (= 9)
Stellung von Schwarz (Peter Ellinger): Kg7, Df8, Tc7, Sd7, Bb6, e6, f7, g6, 
h5 (= 9)
Es folgte 29.d5! Tc5 [Auch 29.-exd5 30.e6 Sf6 31.exf7 und 32. Se6 (+) oder 
29.-Sc5 30.d6 wäre aussichtslos.] 30.dxe6 Sxe5 31.exf7 Dd6 32.Se4 Tb5 [Ein 
letzter Versuch, aber den Gefallen 33.Txb5?? Dd1+ 34.Kh2 Sg4+, bzw. 
33-Sxd6?? Txb1+ 34.Kh2 Sg4+ tut ihm der Weiße nicht.] 33. f8D+! Kxf8 34.Df4+ 
Kg7 35.Sxd6 Txb1+ 36.Kh2 Sg4+ 37.Kg3 Tb3+ 38.f3 Se3 39.Df7+ 1-0

Der 16-jährige Mirko, der neben seinem Schachtalent auch über eine hohe 
mathematische Begabung verfügt, ist aufgrund einer Schädigung des Sehnervs 
auf einem Auge blind, das andere hat eine nur geringe Rest-Sehkraft. Wie 
sein schärfster Konkurrent in diesem Turnier, Alexander Schneider (Hamburg, 
*1989), der aus Kirgisien stammt und seit zehn Jahren in Deutschland lebt, 
kann Mirko bei optimaler Beleuchtung noch am "großen" Brett spielen. Bis 
kurz vor Toresschluss lagen die beiden gemeinsam an der Spitze des Feldes, 
bevor Schneider gegen Ellinger eine Kurzpartie verlor. Letzterer landete 
zumeist im Vorderfeld bei den Turnieren des Deutschen Blinden-und 
Sehbehinderten-Schachbundes (DBSB), nicht zuletzt wegen seiner 
Fernschach-Spielstärke. Ihr Autor war eines der Opfer bei Ellingers Sieg in 
der 28. Deutschen Fernschach-Meisterschaft (1996-1999), die noch per 
Postkarte ausgetragen wurde. Damals hatte Peter bei der obligatorischen 
Vorstellung seine Sehbehinderung erwähnt, aber erst bei unserem persönlichen 
Kennenlernen in Timmendorfer Strand wurde mir das heutige Ausmaß bewusst. 
Dem seit 2003 wegen Erwerbsunfähigkeit verrenteten Software-Ingenieur 
verbleiben bei einem stark eingeschränkten Gesichtsfeld selbst unter 
optimalen Lichtverhältnissen kaum zehn Prozent Rest-Sehstärke. Trotzdem 
bemüht er sich in seinem Verein HSK Lister Turm, weiterhin am "großen" Brett 
zu spielen. Ein Remis gegen Großmeister Lutz Espig im Open von Bad 
Wörishofen 2012 zeugt von seiner Spielstärke. Ellingers große Leidenschaft 
ist trotz (oder gerade wegen) des vermehrten Computereinsatzes weiterhin das 
Fernschach, welches er auch im DBSB als Fernschachleiter aktiv unterstützt.

Überhaupt hat die Kommunikation per Computer den blinden Schachspielern 
enorm geholfen, mittels Bildschirm-Leseprogrammen mit Sprachausgabe 
erschließen sie sich das Internet. Das Schreiben von Emails mittels 
Braille-Tastatur half immens, den Kontakt zur Außenwelt zu erweitern. 
Schachprogramme mit entsprechender Schnittstelle zu JAWS (job access with 
speech), dem von Blinden und Sehbehinderten meistgenutzten 
Screenreader-Programm, erlauben dem blinden Schachspieler ein deutlich 
substanzielleres Training als es der geringe Anteil der in Braille-Schrift 
verfügbaren Schachliteratur jemals ermöglichte.
Davon wusste mein nächster Gesprächspartner, der ebenfalls leidenschaftliche 
Fernschachspieler Werner Kranz (Hamburg, *1942), ausführlich zu berichten. 
Verständlicherweise bedauert er, dass die neuesten Versionen vieler 
Schachprogramme diese JAWS-Schnittstelle nicht mehr bedienen. 1945 war der 
damals dreijährige Knabe, der wegen einer schlimmen Augenentzündung 
stationär im Krankenhaus seiner Heimatstadt Halle (Saale) weilte, 
versehentlich mit einer Lysol-Lösung behandelt worden. Beide Augen wurden 
stark verätzt, das Kleinkind erblindete. Schach erlernte Kranz als 
Zehnjähriger von einem Schulfreund, mit 15 Jahren trat er dem 
Blinden-Schachklub in Leipzig bei und gehörte später zu den stärksten 
blinden Spielern der DDR. Kranz arbeitete als Klavier-und Flügelstimmer, 
zuletzt bis zu seiner Pensionierung bei Steinways & Sons in Hamburg. 
Fernschach war stets seine Passion, häufig spielte er 30-35 Partien 
parallel, die er im Gedächtnis behielt und nur zur Kontrolle aufbaute. Auch 
heutzutage analysiert Kranz lieber "blind", d. h. ohne Abtasten des 
Steckschachs, das er auch in Turnieren meist nur zur Kontrolle seiner 
erdachten Pläne nutzt. Er erkennt dabei abstrakte Stellungsstrukturen, 
ähnlich wie es blind spielende Meisterspieler beschreiben - und das, ohne 
jemals ein reales Schachbrett gesehen zu haben. Damit gehört er eher zu den 
Ausnahmen unter den blinden Schachspielern.
Beeindruckend verlief auch mein Austausch mit Manfred Granz (Wedel, *1939), 
der 1946 beim Kinderspiel in einem Danziger Trümmerfeld auf die unselige 
Idee kam, den Blindgänger einer Brandbombe näher zu untersuchen. Es kam zur 
Zündung, der kaum Siebenjährige wurde zum Kriegsblinden. Schach erlernte 
Granz mit 13 Jahren, aber erst ab 1955, als er als Gymnasiast in der 
Marburger Blindenschule weilte, beschäftigte es ihn intensiv. Es wurde trotz 
längerer beruflicher (Granz arbeitete 43 Jahre als Protokollführer am 
Landgericht) und familiärer Pausen seine große Leidenschaft. Gern erinnert 
er sich an die Deutschen Blindenmeisterschaften in den 1970er und 80er 
Jahren, die damals von Spielern wie Kurt Milotzki (Essen), Hans Zeitler 
(Weilheim, 1938-2002), Peter Sand (Fürth), Ludwig Zier (Wunsiedel) und 
schließlich Dieter Bischoff (Heidelberg) dominiert wurden, und an die 
Blinden-Olympiade im kroatischen Pula 1972. Noch heute spielt er jeden Tag 
gegen seinen sprechenden Schachcomputer und trainiert damit auch sein 
ausgesprochen gutes Gedächtnis. Granz "visualisiert" wie Werner Kranz das 
Brett, die Schachfiguren definieren sich für ihn aber eher durch ihre 
Funktion als durch eine konkrete Gestalt. Granz kennt auch das Phänomen der 
Innensprache, den leisen Dialog des vorausdenkenden Schachspielers mit sich 
selbst. Mir hat es besonders gefallen, wie er spontan auf meinen Vorschlag 
einging, mit ihm eine Blindpartie "außerhalb des Protokolls" zu spielen.

Im letzten Abschnitt meines Beitrages möchte ich wesentliche Aspekte meiner 
ausführlichen Gespräche mit dem ersten Vorsitzenden des Deutschen Blinden- 
und Sehbehinderten-Schachbundes, Volkmar Lücke (Norderstedt, *1942), 
zusammenfassen, der mich in Timmendorfer Strand überaus freundlich und 
vorurteilsfrei in seine Gemeinschaft einführte. Lücke, als 
leidenschaftlicher Schachspieler 1975 Mitbegründer des Schachklub 
Norderstedt, hat 2011 die Leitung des DBSB übernommen. Frühzeitig musste er 
sich auf das Schicksal der weitgehenden Erblindung einstellen, schon 2002 
war er deshalb aus leitender Funktion bei der Hamburger Hafen und Logistik 
AG ausgeschieden. Ab 2005 engagierte er sich im Hamburger Blindenschach und 
übernahm die Leitung des Bezirks Nordost, der mitgliederstärksten Sektion im 
DBSB, u. a. geht die Austragung des Baltic Sea Braille Chess Cup auf seine 
Initiative zurück. Lücke sieht Tendenzen, das Blindenschach organisatorisch 
in das Behindertenschach zu integrieren, eher kritisch. Ich kann ihm nur 
beipflichten: Der Verlust oder die extreme Einschränkung des Sehvermögens 
beeinträchtigt das Leistungsvermögen im Schach weit stärker als jede andere 
Form der körperlichen Behinderung. Lücke selbst büßte etwa 200 
Wertungspunkte ein, seitdem er auf das Spiel an zwei Brettern angewiesen 
ist.
Überhaupt scheint das organisierte Blindenschach im Wesentlichen durch die 
Betroffenen getragen, derzeit sind gut 200 blinde und stark sehbehinderte 
Schachspieler(innen) als Mitglieder verzeichnet. Der Blindenschachbund 
selbst wurde 1951 von Hermann Uekermann (1916-1977), einem blinden 
Telefonisten aus Herford, gegründet, im gleichen Jahr fand im westfälischen 
Stukenbrock die erste Deutsche Meisterschaft statt. Der erste deutsche 
Schachverein für Blinde war bereits im Februar 1924 in Chemnitz gegründet 
worden, derzeit gibt es mehr als ein Dutzend solcher Vereine und 
Spielgemeinschaften im Bundesgebiet. Neben nationalen Meisterschaften des 
DBSB werden von der IBCA Welt-und Europameisterschaften für Einzelspieler 
und Teams ausgerichtet. Beim 63. FIDE-Kongress 1993 wurde der IBCA nicht nur 
Sitz und Stimme bei der FIDE eingeräumt, sondern auch das Recht, bei den 
Olympiaden der FIDE mit je einer Herren-und Damenmannschaft teilzunehmen. 
Seitdem besteht dadurch ein Anreiz für die Spitzenspieler des DBSB, sich 
auch international auf höchstem Niveau mit den Sehenden messen zu können.
Volkmar Lücke machte mich allerdings eindringlich auf die Kehrseite solcher 
attraktiven Möglichkeiten aufmerksam: Immer wieder steht der 
Blindheitsbegriff zur Diskussion, bei internationalen Turnieren kommt 
mitunter der Verdacht auf, dass die festgelegte Begrenzung des Sehvermögens 
von zehn Prozent oder 20 Grad Gesichtsfeld-Einengung von den meldenden 
Verbänden nicht streng berücksichtigt wird. Dies führt zu einer 
Wettbewerbsverzerrung, durch die sich vor allem die vollblinden 
Spitzenspieler benachteiligt sehen.
Der amtierende deutsche Blindenmeister, FM Oliver Müller (Bremen, *1969), 
langjähriges Mitglied der Schachabteilung des SV Werder Bremen, beteiligte 
sich erstmals 2007 an einem Turnier des DBSB. Der Maschinenbau-Ingenieur ist 
in einem Konstruktionsbüro beschäftigt, durch eine massive 
Gesichtsfeld-Einschränkung auf fünf Grad ist er stark sehbehindert. Dem 
44-jährigen Junggesellen fällt es nicht leicht, Beruf und schachliche 
Ambitionen in Einklang zu bringen, aber das hervorragende Abschneiden bei 
der Olympiade in Istanbul 2012, wo Müller an Brett 4 mit 6/9 Partien und 
einer Elo-Leistung von 2459 seine erste IM-Norm erfüllte, motiviert ihn für 
die angestrebte Teilnahme an der IBCA-Einzel-WM in Griechenland 2014.
Neben Müller haben andere bundesdeutsche Spitzenspieler den DBSB 
international erfolgreich vertreten, natürlich dürfen hier die Meister der 
ehemaligen DDR nicht vergessen werden: Hans Wünsch (Görlitz), Erich Kübart 
(Leipzig), Klaus Mickeleit (Berlin), Klaus-Peter Wünsche (Berlin) und Olaf 
Dobierzin (Leipzig).
Zu Großmeister-Ehren hat es seit dem eingangs genannten Aladdin al-Qairan 
kein blinder Schachmeister mehr gebracht. Erwähnung sollen hier dennoch drei 
weitere Persönlichkeiten finden, die dem Blindenschach seit Jahrzehnten 
verbunden sind. Mit sechs Jahren erkrankte der heute 90-jährige Essener 
(genauer Karnaper) Bergmannssohn Kurt Milotzki (*1923) an einer 
Gehirnhautentzündung und verlor sein Augenlicht. Zwei Jahre später brachte 
man dem Knaben die Regeln des königlichen Spiels bei, der kleine Kurt war 
begeistert und studierte fleißig ein Schachheft in Braille-Schrift. Schon 
mit zehn Jahren gewann er sein erstes Turnier, zuerst spielt Milotzki im 
Karnaper Verein, später trat er in der ersten Mannschaft von 
Essen-Katernberg an. Ab 1956 beteiligte sich der blinde Meisterspieler, der 
bei Siemens in Essen beschäftigt war, mit steter Regelmäßigkeit an insgesamt 
15 Einzelmeisterschaften des DBSB, sechsmal errang er den Titel. Die III. 
Einzel-WM der IBCA in Bad Berleburg 1975 verlief allerdings nicht so 
erfolgreich wie erhofft, Milotzki wurde "nur" Siebter. Den Blindenschachclub 
Essen hatte Kurt Milotzki 1970 gegründet, noch heutzutage besucht der vitale 
Greis, der sich erstaunlicher geistiger Frische erfreut, gern den 
Spielabend.
Ludwig Zier (Wunsiedel, *1955) löste die "Ära Milotzki/Zeitler" im deutschen 
Blindenschach ab. Im neunten Lebensjahr wegen eines Glaukoms erblindet, 
gewann er von 1981 bis 1987 vier Meistertitel des DBSB in Folge! Bei der V. 
Einzel-WM der IBCA in Hastings 1982 erreichte der Oberfranke hinter Krylow, 
Rudenski (beide UdSSR) und Wünsche (DDR) einen respektablen vierten Platz. 
Damals spielte Zier in der zweiten Bundesliga für Straubing und Passau 
(später für Hof). Bis 2001 im Landratsamt Wunsiedel beschäftigt, widmet sich 
Zier heute in vorbildlicher Weise der Schachorganisation an seinem Heimatort 
und organisiert dort seit 2007 gemeinsam mit seiner Familie ein jährlich 
stattfindendes Schachfestival!
"Serienmeister" des DBSB aber ist Dieter Riegler (geb. Bischoff, *1950), 
dessen Turnierschach-Aktivitäten 1971 im Rheinland beim SK Ratingen 
begannen. Als sich Ende der 70er Jahre sein Sehvermögen aufgrund einer 
erblichen Netzhauterkrankung drastisch verschlechterte, begann er eine 
Umschulung zum Informatiker an der Fachhochschule Heidelberg. Dort fand er 
zum Blindenschachclub Heidelberg. 1989 wurde er in Altensteig erstmals 
Deutscher Blindenschachmeister, 2011 gewann Riegler diesen Titel zum neunten 
und bislang letzten Mal, sicherlich ist mit ihm jederzeit nochmals zu 
rechnen.
Abschließend möchte ich Volkmar Lücke zitieren, der sich für seine Amtszeit 
einiges vorgenommen hat: "Ich möchte die Integration blinder Schachspieler 
in die Gesellschaft vorantreiben und gleichzeitig das Breitenschach fördern. 
Besonders wichtig ist aber, dass unser Verband bekannter wird. Viele 
sehbehinderte Schachfreunde wissen nicht, wie sie sich das Leben mit unserer 
Hilfe erleichtern könnten."
Mir bleibt zu hoffen, ihn mit meinem Beitrag bei diesem hehren Ansinnen 
unterstützt zu haben. Weitere Informationen erhalten Sie auf www.dbsb.de 
oder im direkten Kontakt mit Volkmar Lücke (1vorsitzender@dbsb.de) bzw. 
dessen Stellvertreter Ewald Heck (presse@dbsb.de).

Erschienen in "Schach" 4 /2014 Seiten 48 - 55
Veröffentlichung durch den DBSB nach freundlicher Genehmigung von 
Exzelsior-Verlag und Dr. Michael Negele, bei denen das Copyright ligt.
Der Artikel liegt auch im PDF-Format, 286 kb vor.
Website des Verlages: www.zeitschriftschach.de/

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